Baggern gehört zum Cannstatter Volksfest, das weiß jeder. Doch wer weiß, was Frotteure sind? Auf dem Wasen trifft man sie gehäuft an. Und manche tragen ihre nackte Haut im Zelt zu Markte. Gehen sie zu weit?

Stadtleben/Stadtkultur: Uwe Bogen (ubo)

Stuttgart - Wer sich vor Menschenmengen fürchtet, wen die Panik im Geschiebe und Gedrücke ereilt, meidet das Volksfest zu gewissen Stunden. Seit der Eröffnung ist der Cannstatter Wasen zeitweise so vollgestopft, dass man an manchen Stellen nicht umfallen kann. Der Gedanke daran flößt nicht wenigen Menschen Angst ein. Doch es gibt andere auch, die es genau dorthin zieht, wo es möglichst eng zugeht.

 

Sehen Sie im Video: 10 Fakten zum Cannstatter Volksfest und Frühlingsfest.

Für jede Besonderheit des Lebens hat die Psychotherapie einen Fachausdruck. Von der Existenz des Frotteurs wusste ich bisher nichts. Frotteure, habe ich nun gelernt, trifft man auf dem Wasen sowie in der S-Bahn auf dem Weg dorthin gehäuft an – im ungünstigen Fall spürt man sie. Ein Frotteur (französisch: se frotter, sich reiben) sucht körperliche Nähe zu Unbekannten. Heimlich befingert er in der Anonymität einer Menschenmenge andere, was wie zufällig wirken soll.

Wer mit einem Frotteur spricht, hat entweder dessen Hand auf seiner Schulter oder er spürt dessen Bein an seinem. Abstand ist nicht das Ding eines Frotteurs, er braucht Körperkontakt, er will sich möglichst reiben. Ein Fest, bei es dem rappelvoll ist, bei dem Frauen in ihrem Dirndl tiefe Einblicke gewähren und manchmal auch provozieren, ist ein Paradies für den Frotteur. Doch auch Menschen, die man für normal hält oder die es womöglich sogar sind, können in der erotisch aufgeladenen Stimmung eines Bierzeltes nicht immer cool bleiben.

Einige Champagnerflaschen kosten fünfstellig

In der Schwabenwelt von Michael Wilhelmer haben es zwei gut gebaute Jungs mit Frotteuren, weiblichen wie männlichen, zu tun. Im Dienste eines Champagnerherstellers tragen sie außer einer Schürze kaum was. Man sieht die nackte Haut eines durch Fitnesstrainings gestählten Oberkörpers. Wie die Berührungen der Bierzeltgäste ausfallen, beschreibt einer der beiden so: „Hände betaschen dich immer wieder, auch auf dem Po. Es kann sogar passieren, dass jemand die Krallen ausfährt und dir über den Rücken kratzt.“

Beschweren will sich der Schampus-Boy aber nicht. Es ist sein Job. „Jetzt kann ich mir gut vorstellen, wie es Frauen im Dirndl ergeht“, sagt der Schürzenmann. Bezahlt wird er stundenweise, nicht auf Provision (es gibt 15-Liter-Champagnerflaschen bei ihm, wie verrückt, für 60.000 Euro!). Das Jahr über kann man ihn über „Rent a Superhero“ buchen. Für jeden Spaß sei er auf Anruf zu haben, nicht aber zum Strippen. „Wenn man einen Superhelden nackt sieht, ist er keiner mehr“, findet er.

Ganz ausziehen will sich auch Ramona Bernhard nicht mehr. Zum 30. Geburtstag im August erklärte das Playmate, es werde nur noch für Dessous oder Bademode modeln, aber nicht mehr öffentlich blank ziehen. Während wir darüber sprechen, ob sie’s durchhalten wird, läuft ein junger Kerl an uns vorbei und ruft ihr zu: „Du siehst voll geil aus!“ Das passiere ihr oft, erzählt sie – ganz ungewollt ist dies freilich nicht. Frotteure aber haben bei ihr keine Chance. „Wer mich begrabscht, kriegt eine geknallt“, sagt sie – oder es mit ihrem Freund Oliver Burkhart zutun, der selten von ihrer Stelle weicht.

Spritzen ins Dekolleté vor dem Wasenbesuch

Für den Wasenbesuch hat sie sich spritzen lassen – ins Dekolleté. „Es hat weh getan“, sagt sie, „aber was tut man nicht alles für die Schönheit.“ Hyaloronsäure soll für straffe Haut sorgen. Beim Promi-TV-Arzt Oliver Gekeler zahlt sie pro Sitzung 500 Euro. Bei der Wasenpirsch zugunsten des Kinderhospizes (diesmal kamen etwa 10 000 Euro zusammen) feiert der Schönheitschirurg mit Patienten – Kunden wäre vielleicht das bessere Wort. Falten sind keine Krankheit. Es sei denn, man hält es für krank im Kopf, wenn man selbst bei einer Charity-Veranstaltung nur an sich selbst und sein Äußeres denkt.

Wenn viele Menschen bei Musik und Bier aufeinander treffen, gehört Flirten dazu – ebenso der Wunsch, möglichst schön dafür auszusehen. Bei zu viel Alkohol ist die Gefahr groß, dass Grenzen verrutschen. Playmate Ramona zeigt viel, aber wer sich dann nicht bremsen kann, bekommt eins auf die Zwölf. Der Drang zur Selbstinszenierung treibt auf dem Wasen erstaunliche Blüten.