Aufgelesen im Kreis: Süßes und Saures. Diese Woche verstopft die Bürgerbeteiligung die Herrenberger Straßen. Die eigentliche Mitmachstadt heißt gerade sowieso Böblingen.

Böblingen: Kathrin Haasis (kat)

Herrenberg - Mitmachstadt nennt sich Herrenberg zwar. Aber solche Titel haben nicht automatisch Substanz. Tatsache ist: Thomas Sprißler steht alleine da. Keiner macht mit in der Mitmachstadt, sämtliche Aufrufe zur Beteiligung der Bürger an der Kommunalpolitik sind verhallt. „In einer Bürgerkommune ist das öffentliche Gemeinwesen persönliche Angelegenheit der einzelnen Bürger“, wird zum Beispiel auf der Internetseite der Kreisstadt erklärt. „Jede und jeder ist gefragt, alle haben die Möglichkeit, sich einzubringen – im Reden und im Handeln.“ An der Königsdisziplin der Kommunalpolitik, der Oberbürgermeisterwahl am 29. November will sich allerdings niemand beteiligen.

 

Die Schönaicher suchten aktiv nach Kandidaten

„Die Mitmachstadt Herrenberg ist meine Leidenschaft“, teilte Thomas Sprißler zum Ende der Bewerbungsfrist mit. Der Satz lässt sich angesichts des Mangels an Gegenkandidaten für seinen Posten leicht nachvollziehen. Dass Herrenberg so gar keine Bewerber anziehen kann, ist jedoch bedenklich. Schönaich führte kürzlich eine bessere Bürgerbeteiligung vor. Erstens stellte sich mit Jörg Kießling neben dem Amtsinhaber Tobias Heizmann ein Einheimischer zur Wahl. Zweitens brachten sich die Schönaicher aktiv bei der Suche nach weiteren Kandidaten ein. Hans-Gert Grünhofer aus Bonn wurde nämlich von einer örtlichen Blumenhändlerin aufgestellt: Bei einer Reise durch den Schönbuch sei er zufällig durch Schönaich gekommen, berichtete der 58-Jährige bei der Kandidatenvorstellung, dabei kaufte er Blumen und erfuhr von der Bürgermeisterwahl. „Die Dame meinte, ich sei der richtige Kandidat dafür“, sagte er über das Werbungsgespräch.

Starke Bürgerbeteiligung – im Straßenverkehr

In Herrenberg stand am Montag bestimmt keinem Durchreisenden der Sinn nach Blumen. Am letzten Tag der Bewerbungsfrist war die Bürgerbeteiligung ausnahmsweise ganz stark: beim Autofahren. Gleich an mehreren Stellen waren die Straßen dermaßen verstopft, dass die Lokalzeitung sogar von Verkehrsinfarkt schrieb. Überhaupt klangen die Schlagzeilen aus Herrenberg in jüngster Zeit nicht verlockend. Zu den Staus kommen möglicherweise bald eine Menge Flüchtlinge, was ebenfalls ein Grund sein könnte, warum die Kandidaten um Herrenberg einen großen Bogen machten. Die Kreisstadt ist tatsächlich nur bedingt vergnügungssteuerpflichtig: Im Gegensatz zu Sindelfingen und Böblingen kann dort kein Geld von Bordell-Betreibern eingetrieben werden, weil es schlichtweg keinen Betrieb für sexuelle Dienstleistungen gibt.

Obwohl Sindelfingen sich nicht mit viel versprechenden Titeln schmückt, ist die Teilhabe dort eindeutig höher. „Um eine echte Wahl zu haben, sind zwei Kandidaten notwendig“, meinte Wolfgang Frank bei der Oberbürgermeisterwahl vor sechs Jahren und übernahm den Job. Der Maichinger überzeugte mit seiner Forderung, dass in der Stadt vieles „wirtschaftlicher, sinnvoller und schneller“ gehen müsse, immerhin 942 Wähler (7,83 Prozent). Im Raum für Taten und Talente muss Wolfgang Lützner mit noch mehr Mitwirkung rechnen: In Böblingen wurde gerade unter großer Bürgerbeteiligung die Altstadt aufgemöbelt. Eine Gruppe hat sich ein Beispiel an Berlin genommen, das nie kleckert, sondern immer klotzt, und will das im Zweiten Weltkrieg zerstörte Schloss in Teilen wieder aufbauen. Bei der Wahl in drei Jahren könnte der Oberbürgermeister am Ende aber auch alleine dastehen – wenn er weiterhin so brav sparen will.