Michael Setzer ist seit sechs Jahren Vater. Früher haben Eltern ihre Kinder vor Leuten wie ihm gewarnt. Niemand hat ihn vor Kindern gewarnt. Die Tücken der popmusikalischen Sprachschatzbereicherung – die kennt er aber.
„Happy Birthday to you, Marmelade im Schuh, Aprikose in der Hose und Ketchup dazu.“ Ein Hit ist ein Hit und ich kann aus dem Stand mindestens acht Kinder besorgen, die diese Zeilen sehr lustig finden und sie selbst singen würden, wenn weit und breit gerade niemand Geburtstag feiert. Klar lässt sich über den lyrischen Tiefgang diskutieren, aber ein Hit ist eben ein Hit. Zur Ehrenrettung muss allerdings auch festgehalten werden, dass viele deutsche Popsänger und Deutschrapper mit weit gehaltloseren Zeilen ihren Lebensunterhalt bestreiten.
Das weiß ich, weil ich neulich auf dem Bolzplatz wieder außerplanmäßig Hip-Hop-Musik gehört habe. Eine Mutter spielte ungefragt, aber zur allgemeinen Berieselung, Lieder über einen mitgebrachten Lautsprecher ab. Erst habe ich mitgewippt, dann aber kurz „Huch!“ gedacht. Ein Sänger spuckte da Wörter aus, die ich hier nicht in voller Blüte wiedergeben möchte. Nur so viel: einige reimten sich auf „Glotze“, andere auf „Surenhohn“, „Lanz“ oder „Barsch kicken“.
Dass ein Stapel Kinder (und Jugendliche) und diese, äh, Lyrik gemeinsam auf einem Bolzplatz vielleicht etwas gewagt sind, kam mir ehrlich gesagt erst Stunden später in den Sinn. Wenigstens das: Der nun sechsjährige Sohn hat später keinerlei unangenehme Fragen gestellt oder mit neuerlicher Erweiterung des Sprachschatzes geprahlt. Der war viel zu sehr damit beschäftigt, allen Anwesenden von seinem gerade bestrittenen sechsten Geburtstag zu erzählen, seinen neuen Fußball zu zeigen und damit aufs Tor zu ballern – weil man ja schließlich nicht zum Musikhören auf den Bolzplatz geht.
Was Kraftausdrücke und Popmusik angeht, möchte ich mich aber keinesfalls als Moralinstanz aufspielen. Die Musik, die ich absichtlich höre, ist kein Deut subtiler, der Vorteil gegenüber Deutschrap ist lediglich, dass die Sänger und Sängerinnen bei meiner Musik fremdsprachig und so laut rumbrüllen, dass man sie im Regelfall nur mit Textblatt und/oder viel Mühe verstehen würde. Das muss man wollen, in vielerlei Hinsicht.
Ich mag solch ruppige Musik, seit ich ungefähr zehn Jahre alt bin. Und wahrscheinlich habe ich damals in aller Unschuld und gestochen scharfem Fantasie-Englisch Zeilen über Staatsstreiche, Kleinkriminalität, Drogenmissbrauch, Satan, Seeungeheuer oder Geschlechtsverkehr gesungen. „Skulls“ von den Misfits, „I Wanna Be Sedated“ von den Ramones oder „Kill The Poor“ von der Punkband Dead Kennedys. Damals hatte ich keine Ahnung wer oder was Zynismus, Sarkasmus oder die Kennedys sind – aber: ein Hit ist ein Hit. Das wusste ich.
Richtig interessant wurde das alles erst, als übereifrige Erwachsene explizit vor dieser Musik, den Texten und der Kunst als Ganzes warnten. Jugendgefährdend sei das, behaupteten sie. Viel geändert hat sich seither scheinbar nicht. In Stuttgart nehmen die Menschen ja auch erst Notiz von der Oper, wenn jemand erzählt, dass er dort fast hätte kotzen müssen.
Na ja, ein Wort hat der Sechsjährige in dieser Woche hoffentlich überhört – wenn nicht: Verzeihung, meine Schuld. Als die USA erneut einen Mann zum Präsidenten gewählt haben, gegen den der letzte Hinterhofrapper eloquent wirkt, sagte ich: „Fuck!“
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Michael Setzer ist seit sechs Jahren Vater. Früher haben Eltern ihre Kinder vor Leuten wie ihm gewarnt. Niemand hat ihn vor Kindern gewarnt.