Eltern quälen sich häufig mit der Frage, ob sie die Weichen für ihre Kinder richtig gestellt haben. Doch die wichtigsten Entscheidungen fallen gar nicht am Küchentisch.

Stadtleben/Stadtkultur/Fildern : Andrea Kachelrieß (ak)

Die Ausnahmesituation, in der sich derzeit ukrainische Familien befinden, ist schwer vorstellbar. Schon im normalen Leben fallen Eltern Entscheidungen schwer, weil sie die Auswirkungen auf die Zukunft ihrer Kinder kaum einschätzen können. Welches Musikinstrument? Welche Schule? Welche Sprachfolge? Welcher Sport? Solche Fragen sind vor dem Hintergrund eines Kriegs, in dem es ums nackte Überleben geht, absolute Luxusprobleme.

 

Vergangenes Wochenende haben Demonstrierende vor dem Stuttgarter Schauspielhaus Kinderschuhe platziert, um damit an die im Krieg getöteten Kinder in der Ukraine zu erinnern. Einer der Redner bezifferte ihre Zahl auf bislang 171: „Durchschnittlich stirbt dort alle sechs Stunden ein Kind im Krieg.“ Das heißt, dass seit der Installation des eindrücklichen Schuh-Mahnmals und dem Aussenden dieses Newsletters weitere 13 Kinder getötet worden sind.

Geflüchtete in der Ballettschule

Ukrainische Eltern greifen in ihrer Verzweiflung zu ungewöhnlichen Maßnahmen. Im Internat der John-Cranko-Schule in Stuttgart, einer der renommiertesten Ausbildungsstätten für den Ballettnachwuchs, sind 16 geflüchtete Kinder aus der Ukraine untergekommen. Ein Mädchen sei alleine im Bus von Krakau nach Stuttgart gereist, erzählt der Direktor der Schule. Den Eltern der Ballettschülerin war offensichtlich wichtig, den Krieg nicht über die Wünsche ihres Kindes an seine Zukunft bestimmen zu lassen. Tanzen tut in jedem Fall gut.

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Freie Betten fanden die geflüchteten Kinder in der Ballettschule dank dem Ende der Coronamaßnahmen, Internatszimmer können nun wieder doppelt belegt werden. Häufig war davon zu lesen, wie stark die Pandemie psychische Krankheiten bei Kindern ausgelöst oder verstärkt hat. Was macht erst ein Krieg mit ihnen?

In einer UN-Konvention sind die Rechte von Kindern aufgelistet, 1990 haben sich Regierungsvertreter aus der ganzen Welt und auch aus Russland verpflichtet, sie anzuerkennen. Bildung, Gesundheit, elterliche Fürsorge werden da genannt. Wie schlimm: Ein Recht auf Frieden ist nicht darunter, wohl aber eines auf Leben und auf ein sicheres Zuhause. Das sollten die Regierungsvertreter aus der ganzen Welt nun bitte endlich einfordern.

Hätte, hätte, Fahrradkette! Wie oft habe ich mich gefragt, ob ich die Weichen für meine Kinder richtig gestellt habe. Inzwischen weiß ich, dass die wichtigsten Entscheidungen nicht am Küchentisch fallen. Auch nicht auf Kundgebungen und Demos – trotzdem zieht es mich gerade ziemlich häufig raus.

Andrea Kachelrieß hat zwei Kinder, und das seit einigen Jahren. Gefühlt bleibt sie in Erziehungsfragen aber Anfängerin: Jeder Tag bringt neue Überraschungen. Im Kulturressort betreut sie unter anderem die Kinderliteratur.