Wenn aus Kindern Teenager werden, werden Eltern peinlich. Doch es hat auch eine Zeit gegeben, da haben die laut gestellten Fragen des Nachwuchses der Mutter die Schamesröte ins Gesicht getrieben.
Meine beiden Kinder sind mittlerweile in einem Alter, in dem Eltern in der Öffentlichkeit peinlich sind. Wenn ich die Tochter zu einem Treffpunkt bringe, den sie ohne meine Hilfe nur mit Mühe erreichen würden, dann muss ich umkehren, bevor mich irgendjemand sieht. Und wenn ich doch einmal zufällig ins Blickfeld der Freundinnen gerate, zischt mich mein Kind aus dem Mundwinkel an: „Mama, geh jetzt!“ In solchen Momenten denke ich mir, dass das meine stille Rache ist für all die Peinlichkeiten, die mir meine Töchter in früheren Jahren beschert haben.
Ein Samstag, der in Erinnerung geblieben ist
Ein Beispiel? Ich erinnere mich noch gut an einen Samstag, die Tochter etwa drei Jahre alt, und wir zu Besuch im neuen Heim einer guten Bekannten. Diese führt uns durchs Haus und ist sichtbar stolz auf das großzügige Wohnzimmer. Das ist so riesig, dass die Decke von einem Stahlbetonträger gestützt werden muss, der zu diesem Zeitpunkt noch ziemlich nackt mitten im Zimmer steht. „Den verkleiden wir später noch“, entschuldigt sich die gute Bekannte. Worauf mein Kind prompt fragt: „Als was verkleidet ihr den denn?“ Wahrscheinlich fand der Besuch um die Faschingszeit statt, ich bin mir aber nicht mehr ganz sicher. Zugegeben, diese naive Frage einer Dreijährigen war noch lustig.
Bei Kaffee und Kuchen wurde es aber schon ernster. Mein Kind starrt den Ehemann der guten Bekannten unentwegt an und wiegt dabei den Kopf nachdenklich hin und her, bevor es herausplatzt: „Mama, warum hat der Mann so eine große, krumme Nase?“ Ich verschlucke mich an meinem Heißgetränk und versuche, mit einem heftigen Hustenanfall von dem eben Gefragten abzulenken. Das gelingt mir auch ganz gut, jedenfalls bleibe ich die Antwort schuldig, und das Thema ist erst einmal vom Tisch.
Als der Nachmittag fast überstanden ist, holt mein Kind beim Schuhe anziehen zum alles entscheidenden Schlag aus. Über der Tür des streng katholischen Haushalts hängt ein Kruzifix aus Holz. Der Künstler hat den leidenden Jesus so gestaltet, wie man ihn von vielen Darstellungen her kennt. Sehr dünn, mit langen Armen und Beinen und Haaren, die bis über die Schultern reichen. Die Dreijährige fragt traurig: „Mami, warum hängt der Affe da am Kreuz?“ Ich schnappe mir hastig unsere Jacken, verabschiede mich, schiebe das Kinder aus der Tür und nehme mir fest vor, an diesem Abend mal wieder aus der Kinder-Bibel vorzulesen.
In der kindlichen Fantasie ist nichts unmöglich
Im Grunde aber trauere ich heute dieser kindlichen Unschuld und diesen naiven Fragen nach. Denn oft genug haben mir meine Töchter gezeigt, dass Erwachsene doch eigentlich gar nichts von der Welt verstehen und viel zu sehr gefangen sind in festen Vorstellungen darüber, was man darf und was nicht, was ist und was nicht.
Ein Beispiel? Beim Anblick einer kleinen pinken Spielfigur mit großem Maul, scharfen Zähnen und einem langen mit Zacken bewährten, kräftigen Schwanz ruft mein dreijähriges Kind entzückt: „Schau mal, ein Krokodil!“ Ich antworte: „Kind, das ist doch kein Krokodil, das ist ein Drache. Oder hast du schon einmal ein rosafarbenes Krokodil gesehen?“ Sie: „Nein, Mama, aber hast du denn schon mal einen rosa Drachen gesehen?“
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Alexandra Kratz hat zwei Töchter, die sich der Pubertät annähern beziehungsweise diese bereits ausleben. Allzu oft erkennt sie sich dabei selbst in ihren eigenen Kindern wieder.