Die EU tut eine Menge, um die Jugend des Kontinents miteinander zu verbinden. Eltern können manchmal nur darüber staunen, mit welcher Offenheit und welchem Selbstbewusstsein der Nachwuchs nach Europa geht.

Lokales: Alexander Ikrat (aik)

Die AfD soll ja einen gehörigen Zulauf von jungen Menschen genießen, hört und liest man allehalben. Zum Beispiel die meisten Follower auf Tik-Tok in der deutschen Parteienlandschaft haben. Die 15-jährige Tochter gehört nicht dazu, schließe ich aus der Reaktion auf das Wahlergebnis am Sonntagabend. Sie öffnet den Mund weit mit nach vorne gestrecktem Hals und macht ein Geräusch, wie es der Vater zuletzt hörte, als sich beim Volksfest ein junger Mann nach ungefähr fünf Maß und ein paar Shots an der Außenwand des Bierzeltes entleerte.

 

Den Nachwuchs trennt so einiges von den blauen Politikern. Nicht nur ein guter Teil Migrationshintergrund wie bei einigen ihrer Freundinnen auch, besonders frappierend ist ihre anders gelagerte Programmatik. Auf die EU lässt die Jugendliche nämlich mal gar nix kommen. Und zwar dank Erasmus, beziehungsweise Erasmus+, wie das heutzutage heißt.

Die Gunst der Stunde bietet Erasmus+

Erasmus+ ist das EU-Programm zur Förderung von allgemeiner und beruflicher Bildung, Jugend und Sport in Europa, als Schwerpunkte der nächsten Jahre hat die Europäische Kommission die soziale Inklusion, den grünen und digitalen Wandel sowie die Förderung der Teilhabe junger Menschen am demokratischen Leben ausgeguckt. Gefördert wird das Ganze immer, indem sich Jugendliche aus verschiedenen Ländern oft im Austausch besuchen, um an gemeinsamen Projekt zu arbeiten und dabei das andere Land und seine Leute kennen zu lernen.

So war die 15-Jährige kürzlich als Mitglied der Demokratie-AG ihrer Schule eine Woche in Litauen, lebte in einer litauischen Familie, ging mit deren Tochter zur Schule, um mit Gleichaltrigen auch aus Frankreich, Schweden und den Niederlanden auf Englisch über Fragen des demokratischen Zusammenlebens zu diskutieren und wie man auch über Grenzen zueinander findet. Ein Abstecher führte die Kleingruppe ins Parlament nach Vilnius. Sie lernte eine Menge, zum Beispiel, dass nicht alle Städte in Europa so geschleckt aussehen wie die in Baden-Württemberg, aber auch, dass die Holländer ein ziemlich entspanntes Völkchen sind. Zumindest hat sie es so erlebt.

Gegenbesuch im Speckgürtel von Mailand

Im Frühjahr geht sie auf Gegenbesuch an eine Schule im Speckgürtel von Mailand, wo sie mit ihren Mitschülerinnen und Mitschülern und den italienischen Partnerinnen und Partnern ausarbeiten sollen, wie die ideale Schule für Europa aussehen würde. Die Italienerin war kurz vor Weihnachten hier in der Region Stuttgart und zwischen den beiden entwickelte sich schnell eine Freundschaft. Alles mit Unterstützung der EU und dank des Einsatzes der äußerst engagierten Lehrerinnen ihrer Schule.

Papa kann nur staunen, mit welchem Selbstbewusstsein und welcher Selbstsicherheit sich der Nachwuchs in diese Abenteuer in ganz unterschiedlichen Ländern stürzt und dabei in meist fließendem Englisch ihre Angelegenheiten regelt. Jetzt geht es auch noch um Indien – wobei das nichts mit Erasmus+ zu tun hat.

Deutschland ohne die EU? Liegt außerhalb der Vorstellungskraft der 15-Jährigen. Hoffentlich will sie nicht in ein paar Jahren zu fünf Maß greifen, um ihren Frust über künftige deutsche Europapolitik loszuwerden.

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Alexander Ikrat hat auf (fast) alle Herausforderungen in der Zeitungsproduktion eine Antwort. In der Beziehung zu seinen beiden Töchtern ist er allerdings nicht mehr gefragt – dank der Pubertät.