Egal, wie gut das Verhältnis zwischen Vater und Tochter ist: Wenn sie in die Pubertät kommt, ändern sich die Zeiten. Doch unser Autor hegt nach einer Durststrecke wieder Hoffnung.

Lokales: Alexander Ikrat (aik)

Aus und vorbei. Die schönen Seiten des Familienlebens bleiben mir verschlossen. Dauerhaft. Das sieht dann so aus: Gerade als ich nach einem langen Arbeitstag etwas ausgelaugt die Haustür aufschließe, kommt mir meine 13-jährige Tochter die Treppen vom Keller herauf entgegen. Sie sieht in meine Richtung, aber ihr starrer Blick verrät, dass sie mich nicht wahrnimmt. Im Gegenteil: Sie schaut geradewegs durch mich hindurch. „Hallo?“, sage ich zaghaft. Keine Antwort. Sie biegt mit einer Flasche Mineralwasser um die Ecke und verschwindet in der Küche.

 

Sie meinen, die 13-Jährige hat offensichtlich einen schlechten Tag? Das stimmt. Wie immer, wenn sie mit mir zu tun hat. Täglich, wenn die Schule zu Ende ist und sie das Schulhaus verlässt, ruft sie mich auf dem Handy an. Grußlos fragt sie: „Arbeitest du heute zu Hause?“ In dem Moment, da ich bejahe, drückt sie mich ebenso grußlos weg. Zu frustrierend das Ganze. Wenn ich nicht da wäre, hätte sie an diesem Nachmittag das ganze Haus für sich, um Tik-Tok-Tänze zu üben und würde deutlich erfreuter sagen: „Ich gehe jetzt heim!“

Jahrelang jeden Abend vorgelesen

Was mich verstört: Das Verhältnis war nicht immer so. Genauer gesagt, war es vor nicht allzu langer Zeit quasi genau umgekehrt. Weil ich einen leichten Schlaf habe und meine Frau das Gegenteil davon, bin früher immer ich nachts aufgestanden, nachdem sie abgestillt hatte. Wenn die Kleine quakte, weil sie Hunger hatte, habe ich ein Fläschchen gemacht und es ihr gegeben. Nacht für Nacht. Später brachte ich sie Abend für Abend ins Bett, las ihr Geschichten vor. Hunderte. Wir lagen nebeneinander auf dem Bett, ich las 20 Minuten, 30 Minuten und sie ist fast nie dabei eingeschlafen. Wollte immer noch einen Nachschlag. Es war unbeschreiblich schön, wenn sie sich an mich kuschelte und wir so unsere gemeinsame Zeit verbrachten.

Das ging viele Jahre so, bis die Tochter kurz vor ihrem zwölften Geburtstag beschloss, dass das Vorlesen eher was für Kleine sei. Sie eröffnete mir eines Abends, dass sie die verbleibende Zeit, bevor das Licht ausgemacht werden müsse, gerne noch für sich hätte. Kein Problem. Wir hatten ja zum Beispiel noch das gemeinsame Zelten ein-, zweimal im Jahr, bei dem ihre Mutter und die ältere Schwester mangels Interesse nie teilnehmen wollten. Für uns beide aber war das traute Zweisamkeit wie beim allabendlichen Vorlesen.

Vater darf gerne Fahrdienste übernehmen

Der Schnitt kam – Sie ahnen es – mit dem Eintritt in die Pubertät. Er war radikal und vollzog sich in weniger als einem Monat. Die Biologie von Frau und Mann, in der Theorie längst gelernt, bekam plötzlich ein ganz anderes Gewicht. Zu schwer für ein junges Mädchen. Also musste Ballast über Bord. Als Erstes alles, was männlich ist.

Seitdem gehen wir sozusagen getrennte Wege. Wobei: Zum Theaterkurs darf ich sie gerne fahren, oder in die Schule, wenn sie mal wieder verschlafen hat. Alle ganz praktischen Probleme werden noch an mich herangetragen. Aber wehe, ich frage nach dem werten Befinden. Dann ernte ich ein schneidendes „Was ist?“ oder „Was willst du?“. Und ansonsten bin ich Luft.

Wenn ich Frauen von meiner Situation erzähle, ernte ich verständnisvolle und auch mitleidige Blicke. Sie scheinen das aus eigener Erfahrung zu kennen – ohne weiter darüber zu reden. Nur so viel: „Das geht auch wieder vorbei.“ Diese Hoffnung hege ich tatsächlich seit kurzem. Meine 17-jährige Tochter spricht nach Jahren der Distanz wieder mit mir darüber, was sie bewegt. Zumindest ab und zu.

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Alexander Ikrat hat auf (fast) alle Herausforderungen in der Zeitungsproduktion eine Antwort. In der Beziehung zu seinen beiden Töchtern ist er allerdings nicht mehr gefragt – dank der Pubertät.