Unser Autor feierte Mitte Januar seinen 50. Geburtstag. Wie seine Zwillinge ihn kurz vor seinem Wiegenfest unfreiwillig zum Nachdenken brachten.

Mitte Januar beendete ich meine fünfzigste Umrundung unseres Zentralgestirns – und wie bei meinen runden Geburtstagen zuvor, warf mich auch dieses Wiegenfest nicht aus der (Umlauf-)Bahn. Doch in diesem Jahr brachten mich meine Zwillingsjungs unfreiwillig zum Nachdenken - was an den Witterungsbedingungen lag.

 

Hört sich erstmal seltsam an, ist aber so. Bloß wie kam es dazu?

Schon einen Tag vor meinem Geburtstag wurde ich überrascht, also nicht nur ich, sondern fast ganz Baden-Württemberg. Denn in der Nacht hatte sich Glätte auf den Straßen breit gemacht, die selbst die Prognosen des Deutschen Wetterdienstes bei Weitem übertraf – vor allem bei uns im Kreis Ludwigsburg. Dabei war es so glatt, dass unsere elfjährige Tochter nicht in die Schule musste. BTW: Nennt man das dann „glättefrei“? (Aus meiner Kindheit kannte ich nur „hitzefrei“). Egal, das tut hier eh nichts zur Sache.

Die Zwillinge hatten es leider nicht so gut, weil sich die Grundschule in unmittelbarer Nähe zu uns befindet. Bevor wir die Jungs fertig für die Rutschpartie machten, brachte ich noch den Müll raus – dabei kam ich mir schon vor wie Methusalem am Krückstock. Langsam setzte ich einen Fuß vor den anderen und konnte der Familie nach einer knappen halben Stunde voller Stolz berichten: Auftrag erfolgreich ausgeführt, Müll in der Tonne, Knochen noch ganz.

Dann schickten wir die Buben los, doch nicht ohne sie eindringlich vor der Unfallgefahr zu warnen und ihnen den direkten Weg zur Schule zu empfehlen. Und da war es wieder: Das Gefühl, das ich in den vergangenen Jahren schon öfters hatte: „Mein Gott, du hörst dich echt an wie dein alter Herr vor 40 Jahren“ – und dementsprechend schauten mich die beiden Zehnjährigen auch an. „Mensch, Papa, was willst du eigentlich? Endlich haben wir mal Spaß auf dem Weg zur Schule.“

Somit entließ ich die beiden in die feindliche Natur, natürlich nicht ohne ihnen vom Fenster noch mal ein peinliches „Passt auf euch auf“ hinterher zu grölen. Die Jungs wandten sich mit Grausen ab. Und was sah ich kurze Zeit später: Eigentlich müssen die Kinder auf dem Weg zur Schule einen stark ansteigenden Gehweg hochlaufen, der von unserer Wohnung gut einsehbar ist. Den sind sie dann auch hochgeschlichen. Doch kurz bevor sie aus meinem Blickfeld verschwanden, sah ich, wie sie mit zwei Kumpels kräftig Anlauf nahmen und den kompletten Hang hinabrutschten, zuerst auf den Füßen und dann auf dem Allerwertesten. Das wiederholten sie mehrere Male, während ich mich am Fenster nicht zwischen einem Herzkasper und einem Tobsuchtsanfall entscheiden konnte.

Doch am Ende ging alles gut, die Jungs kamen ohne Blessuren aus der Schule und waren immer noch hellauf begeistert von ihrer morgendlichen Rutschpartie. Ein solches Leuchten in ihren Augen sehe ich sonst nur, wenn sie bei einem Fußball-Turnier den ersten Platz belegen. Als ich sie so sah, wurde ich schon ein bisschen nachdenklich und neidisch – und nahm mir für mein zweites halbes Jahrhundert vor, mir eine dicke Scheibe dieser kindlichen Unbekümmertheit abzuschneiden.

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Matthias Kapaun (50) ist seit dreizehn Jahren Online-Redakteur bei der Stuttgarter Zeitung. Beinahe genauso lange ist er Vater von einer Tochter, dicht gefolgt von Zwillings-Jungs. Seit zehn Jahren stellen diese „Beinahe-Drillinge“ das Familienleben gehörig auf den Kopf.