Fast könnte man meinen, Tanzschulen mit ihren Dresscodes und strikten Schrittabfolgen wären nichts für die Generation Z. Weit gefehlt, beobachtet unser Autor am Beispiel seiner 15-jährigen Tochter.

Lokales: Alexander Ikrat (aik)

Tanzkurs? In Standardtänzen und lateinamerikanischen Varianten? Im Jahr 2024? Gibt’s nicht, würde der eine oder die andere vermuten. Einen langsamen Walzer mit genau festgelegter Schrittabfolge in Anzug oder festlichem Kleid mit anderen Paaren im Kreis aufs Parkett zu legen, stammt doch aus den 50er Jahren des vorigen Jahrhunderts. Müsste sich irgendwann in den 90ern verloren haben, spätestens mit dem Internet. Dort sieht man, wie das die Profis machen, glamourös und sportlich wie in der Fernsehdauerbrennershow „Let’s Dance“. Wie sieht das dagegen aus, wenn man nach zehn Doppelstunden möglicherweise vier Schrittabfolgen nicht unfallfrei ins Rampenlicht gestellt bekommt?

 

Alles Quatsch. Der Autor dieser Zeilen hat am vergangenen Samstagabend zusammen mit rund 800 anderen Menschen sieben Stunden beim Abschlussball seiner 15-jährigen Tochter in der beeindruckenden Stadthalle von Sindelfingen verbracht. Und es war genauso wie auf seinen eigenen Abschlussbällen in den 1980er Jahren in einer ganz ähnlichen Location. Die Jungs scheinen sich in ihren geradlinigen Anzügen nicht ganz wohl zu fühlen und versuchen, teilweise sichtlich nervös, ihrer Führungsrolle gerecht zu werden. Die Mädchen strahlen in ihren festlichen Roben und prächtigen Frisuren und verraten ihre Nervosität erst beim ersten Fehler des Tanzpartners, wenn sie ihn sauer anschauen.

15 von 28 Jugendlichen der Klasse gehen zum Tanzkurs

Dass Tanzkurse wohl niemals ganz out sind, zeigt sich nicht nur an der voll besetzten Stadthalle, sondern auch an diesem Fall: Nachdem an einem Elternabend der Klasse eine Mutter angeregt hatte, doch einen Tanzkurs aus dem Klassenverbund heraus zu organisieren und der Elternvertreter einen Aufruf an die Schülerinnen und Schüler gestartet hatte, meldeten sich tatsächlich 15 von 28 Jugendlichen der 9b. Mit acht Mädchen und sieben Jungs auch noch ziemlich ausgewogen – allerdings kündigten vier Mädchen an, den Tanzkurs miteinander machen zu wollen. Da war dann der Tanzlehrer dagegen, der die Teilnehmenden ohnehin alle paar Minuten wechseln lässt.

Die Zeitlosigkeit des Tanzkurses scheint darin zu liegen, dass er nach wie vor einer der ersten Orte der Begegnung zwischen den Geschlechtern ist. In Zeiten, da sich Jungen und Mädchen vielfach nur noch in der Schule begegnen, weil sie seltener als früher in Vereinen oder anderen Institutionen aktiv sind, dafür viel lieber viele Stunden in virtuellen Welten verbringen, hat die Tanzschule den immer gleichen Reiz. Man kommt einmal die Woche mit mehreren Tanzenden des anderen Geschlechts buchstäblich in Berührung und hat als Rückfallebene meist trotzdem die Freundinnen und Freunde dabei, mit denen man sich anschließend austauschen kann. Über unrhythmische Bewegungen, schwitzige Hände oder Kleidungsverirrungen.

Die 15-jährige Tochter freut sich jetzt auf den dritten Tanzkurs, den Bronze-Kurs. Das Tanzen und die Begegnung mit ALLEN anderen ist einfach zu interessant, um auszusteigen. So lange die Eltern bezahlen und die Tochter zum Abschlussball bringen. Das Tolle an diesem ist schließlich auch, dass er mit den Darbietungen von hunderten von Tanzschülerinnen und Tanzschülern und ein paar Profis bis nach 1.30 Uhr morgens dauert. Und dann ist die Tochter mit ihrem nachtblauen Kleid und den 11-Zentimeter-Absätzen (Wie hält sie das bloß aus?) immer noch nicht platt und sagt: „Ich freu’ mich schon auf das nächste Mal!“

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Alexander Ikrat hat auf (fast) alle Herausforderungen in der Zeitungsproduktion eine Antwort. In der Beziehung zu seinen beiden Töchtern ist er allerdings nicht mehr gefragt – dank der Pubertät.