Wenn der Streit zwischen Sohn und Tochter schon beim Frühstück um 6.30 Uhr eskaliert, fragt sich unsere Autorin, ob ein Einzelkind nicht doch eine feine Sache gewesen wäre. Andererseits sind da diese unbezahlbaren Geschwistermomente.

Familie/Bildung/Soziales: Lisa Welzhofer (wel)

Als Kind war ich immer ein bisschen neidisch auf meine Freundinnen mit Geschwistern. Vor allem so eine große Schwester, wie Iris und Tanja sie hatten, kam mir erstrebenswert vor. Mit der konnte man Barbie spielen, im Teenageralter dann aus ihrem Schrank Klamotten stibitzen, die nahm einen vielleicht sogar auf Partys mit oder in die Dorfdisco W3. Dass sich das Augenmerk von Eltern und Großeltern auf mehrere verteilte, schien mir, lange Zeit der einzige Nachwuchs in der näheren Verwandtschaft, ebenfalls eine prima Sache.

 

Hatten sich Mutter und Vater erzieherisch an den älteren Kindern abgearbeitet, herrschte bei den Kleinen Laissez-faire. So kam es mir zumindest vor. Mein Wunsch, später einmal auf jeden Fall zwei Kinder zu bekommen, wurde in meinem Einzelkinddasein geboren.

Man gönnt sich kein Mü Schoko-Crunch

Sprung in die Gegenwart: Beim Frühstück schon zoffen sich Tochter und Sohn um die Comic-Hefte und wer wo einen Riss in die Seiten gemacht hat. Weiterer (sehr lauter) Unmut entzündet sich an der Füllmenge der Müslischüsseln. Hat der Bruder da nicht ein My Schoko-Crunch mehr bekommen? „Unfair!!!“ Man gönnt sich gegenseitig nicht den Dreck unter den Fingernägeln und keine vertrocknete Nudel vom Vortag mehr.

Nach der Schule geht es weiter. „Du bist doof!“ – „Du noch doofer!“ (jugendfreie Version), lautet die geschwisterliche Begrüßungsformel. Von gegenseitigem Empowerment, wie man heut’ so sagt, keine Spur – auch nicht bei der Bewertung der Klamottenwahl. „Das sieht komisch aus!“ ist noch die wohlwollendste Stilkritik. Da fragt man sich als Mutter schon mal im Stillen: Hat man den Kindern wirklich etwas Gutes getan, indem man sich mit zwei Niederkünften tapfer der Überalterung der Gesellschaft entgegen stellte?

Auch aus Elternperspektive scheint die Entscheidung nicht unbedingt die nervenschonendste: Während zum Beispiel am Nebentisch im Restaurant die Eltern mit Einzelkind in Ruhe und tischmanierenkonform dinieren, schaukelt sich die eigene Brut gegenseitig hoch, treibt sich wechselseitig in hysterische Lachanfälle hinein. Überhaupt dieser Lärmpegel! Dazu dieses doppelte Bring- und Abhol-Business zu Freunden, Hobbys, Schulaktivitäten, das man betreibt! Und als Schwäbin sei auch mal daran erinnert, was des alles koscht!

Aber dann gibt es da diese innigen Geschwistermomente, denen man als Mutter beiwohnen darf. Wenn abends miteinander gekuschelt wird, in dieser ungestümen, rangeleiähnlichen Art. Wenn ein gemeinsamer Süßigkeitenklau ausgeheckt, im Urlaub zusammen der Pool erobert wird oder sich immer ein Geschwister wie eine Brandmauer zwischen das andere und die schimpfende Mutter stellt.

Wenn sie stolz aufeinander sind, weil es die eine so gut auf der Bühne beim Schulfest macht und der andere beim Sport reüssiert. Wenn die Schwester die Kapuzenpullis des Bruders stibitzt. Dann ist glasklar: Wie gut, dass sie einander haben!

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Lisa Welzhofer hat zwei Kinder (7 und 11 Jahre alt) und ist jeden Tag baff, wie großzügig die beiden über ihre Fehler als Mutter hinwegsehen.