An diesem Wochenende geht in Kassel die Documenta 15 zu Ende. Noch immer gilt die 1955 gegründete „Weltkunstschau“ als eine der wichtigsten Plattformen des Kunstbetriebs. In diesem Jahr dominierten Antisemitismusskandale die Berichterstattung. Um diese soll es nun aber nicht gehen. Denn über das explizit Politische ist die Kunst selbst in den Hintergrund gerückt. Was für ein Kunstverständnis hat die Documenta 15 geprägt?
Autonom? Heteronom?
Die Documenta wurde ihrer Rolle als Seismograf globaler Kunsttendenzen insofern gerecht, als sie wie kaum eine andere Großausstellung zeigte: Das einstige westliche Ideal der Kunstautonomie ist auf dem Rückzug. Ruangrupa, das mit der Kuration der Documenta betraute indonesische Kollektiv, setzte auf hybride, prozesshafte Kunst, die vor allem soziale Aufgaben erfüllen sollte: Gemeinschaft stiften, verbinden, heilen, bilden, kommunizieren, involvieren, agitieren, engagieren. Was auf den ersten Blick wie eine wohltuende Abkehr von einer angeblich freien, nur sich selbst verpflichteten, außerhalb der sozialen Ordnung stehenden Kunst wirken mochte, lässt sich jedoch auch als Akt der Verklärung unter umgekehrten Vorzeichen deuten. Konnte man westlichen Kunstschaffenden lange Zeit zu Recht vorwerfen, dass der Mythos der „autonomen“ Kunst sie von jeglicher gesellschaftlichen Verantwortung befreite, so könnte man den jüngeren Verfechtern postautonomer Kunst vorwerfen, dass sie ihre „heteronome“ Kunst mit Aufgaben und Verantwortung geradezu überfrachten, ja sie als allzuständig erklären. Auf die Verklärung der autonomen – also selbstständigen – Kunst folgt demnach die Verklärung der heteronomen, also unselbstständigen, allen möglichen Zwecken dienenden Kunst.
Nah dran am Leben
Kunst sollte auf der Documenta möglichst nah dran sein am „Leben“, vor allem an dem diskriminierter Gruppen – doch je weniger Kunst vom Alltag, von Politik, Sozialem, Aktivismus und Sonstigem unterscheidbar ist, desto unklarer ist es, warum man ihr überhaupt besondere Freiheiten gewähren sollte. Die aber werden weiterhin gefordert. Es ist bezeichnend, dass sich die Kuratoren auf die Eigengesetzlichkeit der Kunst beriefen, wenn es um antisemitische Werke ging, aber ansonsten genau diese Eigengesetzlichkeit infrage stellten.
Wenn man den Gedanken ernst nimmt, dass Kunst nicht „autonom“ ist, dann müsste man ihr die Privilegien, die ihr hierzulande qua Gesetz garantiert werden, streichen. Denn Kunstfreiheit wird nur dort gewährt, wo Kunst von anderen Lebensbereichen unterscheidbar ist. Statt einer Sonderstellung im Grundgesetz, Art. 5 Absatz 3, stünde postautonomer Kunst dann immerhin noch der Eintrag in Lobbyregistern zu.