Hey, es ist ja nur das Internet: Im Netz lassen SPD und CDU im Streit miteinander die Hemmungen fallen. Das Spiel mit gefälschten Bildern und persönlicher Verunglimpfung ist zu gefährlich, meint StZ-Kolumnistin Katja Bauer.

Berlin - Es gibt einen Randaspekt der Regierungskrise von Niedersachsen, der gar nicht so nebensächlich ist – vielleicht erinnern wir uns später einmal aus einem ganz anderen Grund an Elke Twesten. Dann, wenn wir uns fragen: Wann hat das eigentlich angefangen, dass die demokratischen Parteien begannen, im Internet Propaganda und Unterstellung zu betreiben?

 

Dann kommt vielleicht die Erinnerung an das Foto von Twesten zurück: ihr Gesicht, mephistophelisch von unten beleuchtet, böser Blick. Dieses Bild stellte die SPD am Freitagabend in den sozialen Netzwerken facebook und twitter ein – mit dem Satz: „das neue, glaubwürdige Gesicht der CDU“. Natürlich ist der Zorn der Genossen verständlich und das Verhalten Twestens mehr als diskutabel. Aber die Grenze, die bei der SPD an diesem Tag fiel, war nicht nur die der Gürtellinie. Mit einem einzigen Klick entschied man sich, auf persönliche Diffamierung umzusteigen, auf Zorn statt Streit. Und man entschied sich dafür, die Glaubwürdigkeit von Politik weiter zu unterminieren.

Auch das Internet ist die Wirklichkeit

Immerhin waren die Reaktionen im Internet kritisch. Die SPD reagierte, und machte alles noch schlimmer. Kommentarlos wurde das Bild gelöscht, ohne Entschuldigung, ohne Erklärung. Man kann natürlich sagen: hey, es ist nur das Internet. Da regieren etwas rauere Sitten, Aussagen werden zugespitzt. Und auch da machen Menschen Fehler. Der Punkt ist nur: Auch das Internet ist die Wirklichkeit. Und es ist die reale Sozialdemokratische Partei Deutschland, die so agiert. Es gibt da keinen Unterschied. Wenn ein Politiker etwas gesagt hat, was er später für falsch hält, muss er sich entschuldigen. Löschen geht nicht.

Kurz drauf kam das nächste Posting: „Das Volk wählt die Mehrheit. Man kauft sie nicht.“ Diesmal also eine unbewiesene Behauptung. Die CDU im Bund macht so etwas bisher nicht, aber in der hemdsärmeligen Hauptstadt schon. Neulich montierten die Christdemokraten dem grünen Justizsenator den Kopf ab und manipulierten ihn auf einen nackten Körper in der Hängematte. Grund: Eine in der Sommerpause von der Union beantragte Sondersitzung war abgelehnt worden. Bilder von Menschen verändern, das wagte bisher nur die AfD, indem sie der Kanzlerin eine Pinocchionase montierte. Ein Kommunikationsprofi der CDU verteidigte das Bild der Union mit den denkwürdigen Worten: das Foto sei nicht gefälscht, sondern „adressatengerecht aufgearbeitet“. Er sehe die Reaktion und die Reichweite, daher: „alles richtig gemacht.“

Merkel mit Pinocchionase

Eine gruselige Sicht, zumal in einem Wahljahr, in dem im Internet alternative Wirklichkeiten angeboten werden, in dem sich Politik bedrängt sieht von manipulierten Nachrichten, die aussehen wie echte – fake news.

Es ist gefährlich zu glauben, der Zweck eines Wahlsieges heilige alle Mittel. Denn man kann nicht in einer aus den Fugen geratenen Debatte mitbrüllen und dann erwarten, als besonnener Sieger dazustehen. Die Wähler mögen dem Schauspiel im Internet zusehen und die Bildchen klicken und teilen – aber sie tun es mit derselben Mischung aus Abscheu und Faszination, mit der sie das Dschungelcamp betrachten. Dass sie die Akteure deshalb eher mögen, ist unwahrscheinlich. Argumente, Ehrlichkeit, Respekt – wenn die Parteien die Regeln einstampfen, die den Streit unter Demokraten um die mehrheitsfähige Lösung ausmachen, dann entgleitet ihnen auf lange Sicht das komplette Spiel.


Vorschau In der kommenden Woche schreibt an dieser Stelle unsere Kolumnistin Sibylle Krause-Burger.