Ein wilder Wahnsinn für Familien: die Murmelbahn auf der Landesgartenschau. Kinderlose Besucher fühlen sich erstmal etwas überrollt. Unsere Kolumnistin Eva-Maria Manz war da!

Psychologie und Partnerschaft: Eva-Maria Manz (ema)

Stuttgart - In diesem Sommer wurde mir wieder die unendliche Naivität der kinderlosen Erwachsenen bewusst, die planlos in eine Veranstaltung stolpern. Zur Landesgartenschau sind wir nach Schwäbisch Gmünd gefahren. Wir wollten drüberschlendern. Ein langer Waldpfad verbindet zwei Teile der Schau, ein „Himmel-“ und ein „Erdenreich“.

 

Wir planten, den Pfad von unten nach oben zu gehen. Am Ende des Weges stürmten uns plötzlich junge Väter mit stierem Blick entgegen, als hätten sie nicht eben das Himmelreich verlassen, sondern im Höllenfeuer gebrutzelt. Sie eilten auf die Getränkestände zu, wo sie ein Radler kauften, das sie, einander verständig zunickend, sofort auf ex trinken. Alle. Ausnahmslos. Die Kinder guckten komisch, Schweißperlen standen auf ihrer Stirn, die Kleineren waren im Wagen bereits in komatösen Schlaf gefallen. Die Frisuren der Mütter lagen vogelnestartig zerwühlt auf ihren Köpfen, ihre Lippen wirkten schmal, die Wangen rotfleckig. Gut, vielleicht ist dieser Waldpfad lang und entbehrungsreich, dachte ich mir. Es fiel auf, dass niemand ihn wie wir von unten nach oben beging. Nach einigen Metern wurde klar, weshalb: am Pfad entlang führt eine überdimensionale Murmelbahn aus Holz. Und den Weg in unserer Richtung zu begehen, war quasi unmöglich. Der Gegenstrom war um so vieles stärker als wir. Mütter, Väter, Kinder, rennend, kreischend an der Holzkugelbahn.

Eine Lebensprüfung für Familien

Heute glaube ich, der Waldentdeckersteg ist eine geheime Lebensprüfung für Familien, eine irrwitzige Challenge, ein ganz, ganz großer wilder Wahnsinn. Am oberen Ende, das sehen wir später, können Eltern für ihre Kinder eine Murmel aus einem Automaten lassen. Es gibt mehrere Abschnitte, an denen sich die hölzerne Murmelbahn entlang des Pfades windet und die kleinen Kugeln immer wieder in einen alten Baumstamm ausspuckt. Dann muss man sie herausnehmen und sie am nächsten Abschnitt wieder einlegen. Da das alle zugleich machen, ist es nervlich stark aufreibend. Wie soll das Kind seine Murmel im Auge behalten?

Eine Mutter wird von einer anderen verzweifelt zur Rede gestellt. Wie sie das nur machen könne, die Kugeln ihrer Kinder nicht farblich markieren, das wisse man doch, hier müsse man einen Filzstift mitbringen, wie solle das denn sonst gehen? Panisch und euphorisiert versuchen die Kinder, neben ihrer Murmel her zu rennen. Es bilden sich Zweier- und Dreierteams, bei denen ältere Geschwister die Kugel weiter unten im Blick behalten. Man muss hier definitiv mit System rangehen.

Sehr kluge Eltern haben bereits oben am Automaten heimlich mehrere Murmeln erstanden, um dem Worst-Case-Szenario, dem Murmelverlust, vorzubeugen. Eine Mutter sagt zu ihrem Mann: „Da kannst du dich einsalzen lassen, wenn du hier keine Murmel hast!“

Auf der Internetseite der Stadt Schwäbisch Gmünd hätten wir, wären wir vorausschauend gewesen, übrigens von der „XXL-Kugelbahn“ erfahren. Dort heißt es auch: „Der Waldentdeckersteg vermittelt das Gefühl, leichtfüßig mitten durch den Wald zu schweben.“