Den Nachwuchs behutsam aufklären und dabei unverkrampft bleiben? Das ist leichter gesagt als getan, hat unsere Kolumnistin Akiko Lachenmann festgestellt.

Reportage: Akiko Lachenmann (alm)

Stuttgart - Wir gehören zu den sehr lässigen, den wahnsinnig unverkrampften und superliberalen Eltern, wenn es um die Aufklärung des Nachwuchses geht. Also um das „Sich-doll-lieb-Haben“ und all seine Konsequenzen. Und so arbeiteten wir zielstrebig und konsequent daran, unseren Kindern spielerisch und so ganz beiläufig eine sexuelle Grundbildung zu vermitteln. Konkret: mit drei Jahren wurden unsere Zwillinge im Kinderwagen über den Christopher Street Day geschoben und darüber unterrichtet, dass Männer auch Männer heiraten und Frauen Frauen und das alles überhaupt „gaaanz normal“ sei. Über die lustigen Verkleidungen (Herren-String-Ledertangas und mit Nieten besetzte Halsbänder) wurde unbefangen gelacht.

 

Dann natürlich kontinuierliches Bombardement mit Aufklärungsbüchern und Hör-CDs („Hat Pia einen Pipimax?“ und dergleichen). Und nicht zuletzt lange Gespräche am Bett im Schein des Nachtlämpchens. Wir wähnten uns auf einem guten Weg, fühlten uns bei der Lektüre der Ratgeberliteratur bestätigt, bemerkten mit Genugtuung, dass unsere Kinder keinerlei Scham zeigten, offen über Schniedel und Schneckchen sprachen und dem Thema ansonsten keinen gesteigerten Wert beimaßen.

Dann zogen wir in einen Stadtteil, der alle Kulturen und Milieus vereint, Bürgerliche wie Spinner, Intellektuelle wie Einfachgestrickte, das richtige Pflaster für weltoffene Menschen wie uns. Meinten wir. Doch so ein Pflaster birgt Risiken für den Erziehungsplan. Erster Vorgeschmack kurz nach der Einschulung: Ein Mädchen mit Kopftuch ruft unserem Sechsjährigen hinterher: „Hey, Kleiner, willsch du meine Freundin knallen?“ Knallen? Erstmals Erklärungsnot: „Die meinte vielleicht malen. Oder kitzeln.“ So ähnlich muss sich eine befreundete Mutter gefühlt haben, deren Sohn fragte, warum „Mixer“ eigentlich ein Schimpfwort sei. Dass das Wort eigentlich mit W beginnt, ließ sie unter den Tisch fallen.

Nächster Querschläger: während eines Kindergeburtstags im Park wälzt sich im Gebüsch um die Ecke ein Pärchen in natura und lässt sich dabei filmen oder fotografieren. Die Mutter des gefeierten Jubilars versucht noch, die Kinderhorde vom Geschehen wegzubugsieren, doch der Sohnemann hat längst alles Wesentliche erfasst. „Warum macht der Fotos von Nackten? Wollen die in die Zeitung, oder was?“ Die allwissenden Eltern finden wieder nur kryptische Antworten. Der Sohn, der noch an den Weihnachtsmann glaubt, findet es natürlich selbst heraus – zusammen mit dem Nachbarjungen. Der ist älter und nimmt ihn mit über die große Straße zum Kiosk, angeblich um ein Päckchen Star-Wars-Karten zu kaufen. Dort zeigt er ihm auch gleich noch die Ecke mit den Zeitschriften, auf denen die Nackedeis zu sehen sind. Und die Riesenbusen. Zum Totlachen. Zu Hause werden dann mal die Eltern aufgeklärt. Die scheinen ja auch von nichts eine Ahnung zu haben.

Wir haben daraus gelernt: kontrollierte Aufklärung ist ein Hirngespinst. Und wir sind genauso verkrampft wie unsere Eltern.