Kinder fürchten sich vor der Dunkelheit. Aber die Pädagogik bietet glücklicherweise Lösungen für betroffene Eltern. Die schönsten hat unser Kolumnist Martin Gerstner einmal zusammengetragen.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Martin Gerstner (ges)

Stuttgart - Es sind die Stunden, in denen sich graue Schatten auf Playmobil und Pixie-Buch legen. Stunden, in denen die Straßenlampen wie traurige Giraffen in die Kinderzimmer blicken, in denen Schatten an der Wand zu Dämonen werden, Spielfiguren dämonische Harry-Potter-Silhouetten werfen, ein tropfender Wasserhahn sich zu einer diabolischen Geräuschkulisse vervielfacht, die Tür eines draußen parkenden Autos eine Kerkerzelle zu schließen scheint, in der sich entführte Kleinkinder verängstigt zusammendrängen und ein trauriges Schicksal erwarten. Das Husten eines Erwachsenen wirkt, als käme es aus dem Rachen eines kannibalischen Tiefseefischs, das Mobile zittert wie Espenlaub, das Pony auf dem Tier-Poster wird zur angriffsbereiten Hyäne. Gruselgeschichten, über die tagsüber noch gelacht wurde, drängen sich in die Nervenenden des vegetativen Nervensystems, wo sie kaltschweißiges Zittern auslösen.

 

Die Nacht, also die schiere Nacht, die nicht durch Kerzen, Taschenlampen, Orientierungsleuchten, blinkende Elefanten oder Lilifee-LEDs erhellt wird, ist eine unheimliche Sphäre für Kinder. Was tagsüber greifbar schien, wirkt verloren, Konturen lösen sich auf, dunkle Fantasien werden übermächtig. Nicht umsonst setzen die infamsten Instrumente der schwarzen Pädagogik auf den gezielten Einsatz von Dunkelheit. Man sperrt Kinder im Keller ein oder erfindet dämonische Strafmonster, die nächtens die zuvor akribisch protokollierten Verfehlungen ahnden. Davon sind wir Gott sei Dank heute weit entfernt.

Wie? Sie finden, dass man ab und zu doch . . . also wenn die Blagen einem wirklich den Alltag zur Hölle machen  . . . man ist ja schließlich auch nur ein Mensch. . . Nein, Finger weg davon. Moderne Eltern setzen statt auf die schwarze auf die weiße oder mindestens helle Pädagogik. Diese will die letzten Angstquellen im kindlichen Kosmos ausschalten und lässt sich dafür einiges einfallen: Radionächte, Kulturnächte, weiße Nächte, Lesenächte, Outdoor-Nächte, Märchennächte oder simple Übernachtungsnächte. Ziel dieser Events, bei denen Kinder im Schein der Leselampen oder Duftkerzen allerlei intelligenzfördernde Tätigkeiten verrichten, ist es, die Dunkelheit als Teil der kindlichen Existenz zu eliminieren und dem Kind eine behagliche Brücke ins Reich der Träume zu bauen.

Was aber wenn das alles nicht funktioniert? Wenn das Kind das Einschlafen verweigert, aus Angst, von Meeresungeheuern verspeist zu werden, ohne es zu merken? Wenn zaghaft verabreichte homöopathische Mittel keine nächtliche Sedierung bewirken, das Dauerkuscheln allenfalls zum erschöpften Schlaf der Eltern, nicht aber zu dem der Kinder führt? Dann müssen die Dämonen der Nacht ritualhaft ausgetrieben werden. Das Prinzip ist einfach und rekurriert auf bestens erprobte Riten verschiedener Naturvölker, deren Namen uns gerade nicht einfallen: Man malt alle angsteinflößenden Fantasmagorien auf Papier und verbrennt sie. Das dauert zwei bis drei Wochen, in denen durchgearbeitet werden muss. Danach sind die Kinder so müde, dass sie sofort einschlafen.