Die Advents- und Weihnachtszeit ist auch nicht mehr das, was sie mal war. Unsere Kolumnistin Ulla Hanselmann erfährt das zurzeit schmerzhaft am eigenen Leibe.

Kultur: Ulla Hanselmann (uh)

Stuttgart - Schneeflöckchen, Weißröckchen, wann kommst du geschneit? Lasst uns froh und munter sein. Herrlich besinnliche Weihnachtszeit!

 

Daraus wird diesmal wohl nichts. Für die besinnlichen Tage steht uns Zerrüttung ins Haus. Warum wir ihm eiskalt eine Lüge aufgetischt haben, wird unser Sohn uns fragen. Wie wir ein Kind, ein armes, unschuldiges Kind, so hintergehen konnten. Missbrauchtes Vertrauen, Verstoß gegen christliche Gebote, zerstörte Vorbildfunktion: die Liste der pädagogischen Verfehlungen, die er uns bei Kerzenschein und hymnischen Chören um die Ohren hauen wird, ist lang – und der himmlische Friede am 24. Dezember garantiert futsch.

Denn eines ist jetzt schon klar: bei der neunten Wiederholung wird der Bluff mit dem Christkind endlich auffliegen. Bisher haben wir unserem von Grund auf gutgläubigen Sohn alle Jahre wieder aufs Neue weismachen können, dass dieses scheue Wesen, das an Heiligabend jedes Jahr neu den Guinness-Weltrekord im gleichzeitigen Beschenken aller Kinder dieser Erde bricht, durch die Balkontür hereinschlüpft, die guten Gaben, die per Wunschzettel bei ihm in Auftrag gegeben wurden, unter unseren Christbaum legt, ein Glöcklein läutet und sogleich wieder flugs in die dunkle, heilige Nacht hinausschwebt, um die nächste Bescherung zu vollbringen.

Die Story zieht nicht mehr. Fliegende Helden, Phänomene wie multiple Persönlichkeitsaufspaltung und Hellseherei, womit sich das christkindliche Multitasking ja erklären ließe, das gibt’s höchstens in der Zauberwelt des Kinderbuchhelden Harry Potter. Entzauberung statt Engelstaten. Tja, auch schon die Sache mit dem Adventskalender wird, so steht zu befürchten, nicht mehr funktionieren. Bisher wurden stets 24 Filzsäckchen befüllt und an einer Schnur aufgehängt, um dem Knaben das Warten auf Weihnachten mit einer täglichen kleinen Überraschung erträglich zu machen. Playmobil- oder Lego-Männchen, Kreisel, Pixi-Büchlein, Murmeln, Buntstifte, Aufziehfiguren – all diese netten Kleinigkeiten, die bisher beim Kind ein Frohlocken hervorgerufen haben – sind für einen Neunjährigen ja so was von uncool.

Wenn sich doch nur die virtuellen Fußballhelden aus dem Konsolenspiel „Fifa 13“ materialisieren und in die rot-grünen Beutel stopfen ließen. Also nur Süßes in den Adventskalender? Geht auch irgendwie nicht mehr.

Aber vielleicht gibt es doch eine Lösung: Knallkörper für Silvester! China-Böller, Kanonenschläge, Brummkreisel, Bengalfackeln und so Zeug. Das hat die passende Größe, und einiges davon ist beim letzten Mal noch übrig geblieben. Außerdem: im Internet kann man heutzutage ja alles ordern, was verboten ist. Da kann der Junge ballern ohne Ende. Und seine Kindheitsträume förmlich in den Himmel schießen.

Einen besinnlichen Adventsspruch von anno dazumal hat er übrigens längst variiert: Advent, Advent, ein Lichtlein brennt. Erst eins, dann zwei, dann drei, dann vier, dann steht das Christkind vor der Tür – und wenn das fünfte Lichtlein brennt, dann hast du Weihnachten verpennt.