Knappe Befehle und Beleidigungen – Spracherwerb kann so einfach sein. Nicht immer wird allerdings sofort klar, was Kleinkinder eigentlich von einem wollen, das hat Redakteur Dieter Fuchs herausgefunden.

Seite Drei: Dieter Fuchs (fu)

Stuttgart - Irgendwann wird es sicher wichtig sein, dass unser Sohn sprechen kann. Ich glaube fest daran, ich muss daran glauben, ansonsten würde ich mir heimlich wünschen, er möge doch seine Kommunikation wieder auf das Wesentliche reduzieren: essen und schlafen. Aber man kann den Lauf der Natur ohnehin nicht aufhalten.

 

Jeden Morgen weckt er einen von uns mit dem Wort „Auf!“. Das klingt nicht nur nach Bootcamp, das ist es auch. Gut läuft es, wenn er ein Elternteil am Arm zieht, um dessen noch reaktionsunfähigen Oberkörper aus dem Bett zu zerren. Die Teufelsvariante geht so: mit dem ganzen Körper über das Gesicht rollen und dabei an Nase, Ohren und Haaren ziehen. „Auf!“ bedeutet: liebe Mama, lieber Papa, würdet ihr mich bitte in die Küche begleiten und mir einen leckeren Kaba zubereiten?

Der Herr Sohn beschränkt sich ohnehin auf eher knappe Anweisungen, deren liebevolle Ausführungen der elterlichen Fantasie überlassen bleiben. Dem Wunsch nach Speis und Trank wird mit dem Wort „Jam!“ Ausdruck verliehen. Untertöne oder gar Diplomatie sind seine Sache nicht. Die höchste Form des Bedauerns stellt ein gehauchtes „ei, ei“ dar, nachdem er einen wieder einmal beim Spielen blutig gekratzt hat.

Am Ende isst er eine Banane

Entschieden sind auch seine Urteile. „Ja“ und „nein“ werden schnell und knallhart abgefeuert. Ganz unschuldig sind wir daran nicht, denn „nein“ ist das von uns mit Abstand am meisten gebrauchte Wort. Nur – verlassen kann man sich auf seine Urteile nicht.

„Willst du ein Wurstbrot?“

„Ja.“

„Schinken?“

„Ja – nein.“

„Lieber Salami?“

„Nein – den da!“

„Ach – Käse.“

Am Ende isst er ein Marmeladenbrot oder doch eine Banane.

Außerordentlich heikel wird die Kommunikation, wenn der Sohn glaubt, seinen Wunsch klar formuliert zu haben, aber die Eltern nur Bahnhof verstehen. Seit Kurzem ordert er, schon im Bett liegend, Lieder zum Einschlafen. „Oma, Monnd – Starn, Endte – das versteht sich von selbst. Neulich aber bestand er auf „Bachhh!“ Ratlos versuchte ich ihn mit anderen Liedern abzulenken, aber er war nicht zu beruhigen. Wie Archäologen über die Schriftrollen von Qumran beugten wir uns über das Wort, gingen den Tag durch, übten uns in freier Assoziation, um schließlich befreit zu rufen: „Ja, wir waren doch heute an der Mühle“. Der Abend klang harmonisch aus mit dem 17-maligen Singen von „Es klappert die Mühle am rauschenden Bachh“.

Tibetanischer Gleichmut schließlich bleibt einem nur, wenn er mit fremden Menschen spricht. Am Sonntag war unser Klo verstopft. Als der Notdienst durch dir Tür trat, rief unser Sohn erfreut „Mann!“ Der steuerte lächelnd die Toilette an, was mit „Kacka!“ kommentiert wurde. Der hartgesottene Kanalreiniger bekam zartrosa Wangen und ging seiner Wege. Wir blieben am Küchentisch zurück und zweifelten kurz daran, ob es die Natur gut eingerichtet hatte, Zweieinhalbjährige schon sprechen zu lassen.