Eben hieß es noch, Kinder zu haben sei das Schönste, was einem überhaupt passieren könne. Jetzt hat die einschlägige Fachpresse plötzlich entdeckt, dass Eltern ein ganz schweres Los erwischt haben. Unsere Kolumnistin Simone Höhn prangert das an.
Stuttgart - „Also der Paul, weißt du, der Kleine von den Dehners, das ist ja so ein entspanntes Kind! Na, bei den entspannten Eltern – kein Wunder!“ Das ist so ein Satz der Kategorie „Ich habe überhaupt nichts gelernt und trotzdem eine Eins geschrieben“. Ein Satz, den gestresste Eltern ganz besonders gern haben. Weißglut. Puls 180. Kalter Schweiß auf der Stirn. Mordgelüste. Solche Feinfühligkeitslegastheniker würde man am liebsten eine Woche lang ins Kinderzimmer mit lauter Nicht-Pauls einschließen. Bei trocken Brot und keinen Spielen.
Dabei hat man doch schon genug damit zu tun, sich von den aktuell herrschenden Glaubenssätzen frei zu machen. War es bis vor Kurzem noch Trend, vom Kinder haben im Allgemeinen und vom Familienleben im Besonderen in den säuselndsten Tönen zu schwärmen, bricht sich nun gepflegter Zynismus Bahn.
Lange Zeit waren Gedanken wie „Ginge es mir ohne Kinder nicht viel besser?“ böse, sie auszusprechen unter Todesstrafe verboten. Wehe, man hatte sich als Mutter nicht zumindest eine aufgesetzt entspannte Art zugelegt, dann war man im Nu selbst schuld am ADS-Syndrom seines Sprösslings und ein Fall für die außerordentliche Elternsprechstunde.
So, so, Kinder nerven manchmal. Man staunt.
Doch auf einmal gilt es als oberlässig, das Eltern-Dasein an sich in Frage zu stellen, sich Boheme-mäßig den Kopf darüber zu zermatern, warum und vor allem ob das Kinderkriegen und -haben überhaupt einen solchen Stellenwert verdient hat. „Wenn Kinder nerven“ heißt zum Beispiel eine Online-Kolumne der Frauenzeitschrift „Brigitte“. Da werden sozusagen in blinder Wut Tabus gebrochen mit „Beichten“ à la „Ich konnte den Tag kaum erwarten, an dem meine Kinder zum ersten Mal ‚Mami’ sagen würden. Jetzt wünsche ich mir nur, sie würden es lassen.“ Oder auch: „Um zu Hause auch mal Zeit für mich zu haben, sage ich meinem Mann, dass ich aufs Klo muss, obwohl ich gar nicht muss. Ich schließe die Toilettentür ab und spiele ein paar Runden Kniffel auf dem Handy.“ Madness! Revolution! Hängt die Mutterliebe!
Die „Bild“ setzt noch eins oben drauf und versucht einem in bewährt heuchlerischem Ton die Vorfreude aufs Kinder kriegen gänzlich zu vergällen. In der Serie „Wer sagt, dass Kinder glücklich machen?“ formuliert die Autorin des gleichnamigen Buchs Evelyn Holst Unerhörtes: „Seien wir doch einmal ehrlich: Erziehungsarbeit ist Schwerstarbeit. Sie erfordert Kraft, Ausdauer, Verzicht, Frustrationsfähigkeit, Leidenschaft und vieles mehr.“ Das da noch mal jemand drauf gekommen ist! Es gibt auch aufmunternde Gemeinheiten wie „Das Leben ist nicht vorbei. Nur der Teil, der Spaß macht.“ Uiuiui, jetzt haben wir aber Angst!
Ein Gutes hat der drastische Wandel der Glaubenssätze allerdings: in Zukunft dürfen gestresste Eltern ganz entspannt verspannt sein und mit tiefer Zornesfalte herumlaufen, ohne dabei etwas von „Kann mir ein Leben ohne Kinder nicht mehr vorstellen“ oder „Das bekommt man alles wieder zurück“ faseln zu müssen. So lange bis das andere Extrem wieder pc wird.