Kinder müssen lesen, heißt es, egal was, denn so lernen sie immer dazu. Aber müssen sie wirklich? Und welches Wissen erwerben sie auf diese Weise? Beim StZ-Kolumnisten Matthias Hohnecker wachsen die Zweifel, als es um die Themen Eisprung, Dildos und Intimwirsing geht.

Stuttgart - Der Sohn, 11, steht im Bad, die Zahnbürste im Mund. Es ist gerade 6.43 Uhr, er sagt: „Popo, Kölnerinnenkrügnmöhrtrünkgöldündörwocheündörsieühreneusprunghobn.“ Die Tochter, 8, steht daneben, hat auch ihre Zahnbürste im Mund und sagt: „Hä?“ Bevor es zum morgens (und abends) üblichen Badezimmerstreit kommt, der wegen der morgens (und abends) üblichen Zahnbürstengesprächskultur immer lange dauert, übersetzt der „Popo“ (ohne Zahnbürste im Mund: „Papa“): „Dein Bruder sagt: Kellnerinnen kriegen in der Woche, in der sie ihren Eisprung haben, mehr Trinkgeld als sonst.“

 

Die Tochter nimmt ihre Zahnbürste aus dem Mund und sagt: „Was ist – Trinkgeld? Kann man das trinken und wird reicher?“ Eine berechtigte Frage, die auch der Sohn nicht beantworten kann, weil er sich vor allem auf die Frage vorbereitet hatte, was ein Eisprung ist. Er hat zurzeit Sexualkundeunterricht, da kommt Trinkgeld nicht vor.

Morgendliche Badezimmerhektik

Gespräche über Eisprünge und Trinkgelder sind in der morgendlichen Badezimmerhektik eher unüblich. Normalerweise wird einem da vom Sohn gerne auch schon Mitte Juli erklärt, dass der Wunschzettel für Weihnachten steht. Ganz oben auf der Liste: ein iPhone. Der Grund: „In der Pubertät braucht man echt ein Touchscreenhandy.“ Bevor der Sohn der Tochter erklären kann, was ein Touchscreenhandy ist, macht die Tochter klar, dass sie andererseits sehr genau weiß, was die Pubertät ist. „In der Pubertät“, sagt sie mit ernstem Gesichtsausdruck, „machen sich die meisten Mädchen ein Wirsing.“

„Ein Wirsing?“, fragt der Vater, während der Sohn davon berichtet, dass er der Einzige in seiner riesengroßen, fünften Klasse sei, der noch mit einem Tastenhandy telefonieren müsse: „Ein Wirsing in der Pubertät? Bist du sicher?“ Die Tochter setzt ihren Papa-du-kapierst-auch-gar-nix-Blick auf und sagt: „Wirsing ist Pflicht in der Pubertät. Die Mädchen stechen sich den Wirsing in die Nase oder in den Bauchnabel, manche auch ins Ohr.“ Wirsing-Ohr, das kennt der Vater, muss eine neumodische Ableitung von Blumenkohl-Ohr sein. Der Sohn sagt: „Nicht Wirsing. Es heißt Piercing.“ Der Sohn muss das wissen, er hat Sexualkundeunterricht, und wahrscheinlich ist dort auch schon über Intimwirsing gesprochen worden.

„Rex Dildo“

Wenn nicht über Intimwirsing, dann über Dildos. „In Neufundland existiert eine Stadt namens Dildo“, sagt der Sohn und grinst. Und während der Vater an den eigenen Sexualkundeunterricht denkt und daran, dass damals „Rex Dildo“ ein pfiffiger Pubertätswitz auf einen Schlagersänger war, sagt der Sohn: „Das mit Dildo und den Eisprüngen der Kellnerinnen steht alles in diesem Buch, das du zum Geburtstag gekriegt hast.“ Das Buch heißt „Nutella hat Lichtschutzfaktor 9,7“ und listet „die volle Dosis unnützes Wissen“ auf. Der Sohn sagt: „Papa, da steht, dass sich Löwen bis zu fünfzigmal am Tag paaren!“

Dann legt die Tochter ihre Zahnbürste weg, nimmt das Buch mit dem unnützen Wissen, blättert und sagt: „Da steht: Albert Einstein soll erst in zweiter Ehe mit dem Zähneputzen begonnen haben.“ Hauptsache, die Kinder lesen!