Für manche Leute bleibt man einfach immer Kind, obwohl man auch schon auf die 50 zugeht. Unser Kolumnist Matthias Hohnecker verfügt über einschlägige Erfahrungen.

Stuttgart - Neulich in der Redaktion. Eine bildhübsche Praktikantin kommt auf mich zu. Sie bleibt vor mir stehen, sie öffnet den Mund, sie sagt: „Könnten Sie mir bitte sagen, wo das Sportressort ist?“ SIE! Die bildhübsche Praktikantin sagte: SIE!! SIE mit großem S!!! Natürlich, das ist die Mutter unter den Klischeeantworten auf die Frage: Woran merkt man, dass man alt wird? Daran, dass einen die jungen Menschen siezen. Man hat das oft gehört, man hat es sogar schon erlebt. Aber nicht so abrissbirnenartig.

 

Neulich am Esstisch. Sohn P. (12) läuft hinter einem vorbei, bleibt stehen, sagt: „Dir gehen aber die Haare am Hinterkopf ganz schön aus!“ Auch daran merkt man, dass man alt wird: dass einem die Kinder Antworten auf eine gar nicht gestellte Frage geben. Jene, woran man merkt, dass man alt wird. Und dann denkt man ein wenig über sich nach und an die eigene Kindheit zurück und daran, dass man vor 35 Jahren einmal dieses Zitat von Erich Kästner gelesen hat und sich sehr daran halten wollte: „Die meisten Menschen legen ihre Kindheit ab wie einen alten Hut. Sie vergessen sie wie eine Telefonnummer, die nicht mehr gilt. Früher waren sie Kinder, dann wurden sie Erwachsene, aber was sind sie nun? Nur wer erwachsen wird und ein Kind bleibt, ist ein Mensch.“

Kind bleiben, das muss jetzt Thema dieser Kolumne sein! Und wenigstens die eigene Mutter lässt einen nicht vergessen, dass man, solange man Eltern hat, immer irgendwie Kind bleibt, auch wenn man schon auf die 50 zugeht, eigene Kinder im vor- und im vorvorpubertierenden Alter hat und sich Fragen nicht mehr stellt, die man sich früher stellte. Wo der Wind zum Beispiel ist, wenn er nicht weht. Oder warum Hühner eine Gänsehaut haben.

Woran merkt man, dass man alt wird?

Jetzt, 40 Jahre später, sagt man immer noch „Mama“ (keinesfalls „Mutti“!) zur Mutter, und die Mutter sagt beim Abendessen, das man ab und zu noch daheim (daheim!) einnimmt: „Kind, möchtest du nicht noch einen Teller haben?“ Und wenn man dann „ach, Mama!“ oder „pffff!“ sagt, weil man pappsatt ist von den vier bis fünf Tellern davor, und wenn die Mama dann sagt, „hat’s dir wieder nicht geschmeckt?“, dann denkt man an die Großmutter, die in den Siebzigern ein Tischgespräch stets mit diesem Satz vollendete: „Matthias, wenn’s du net essa willsch, no kriagt’s dr Hond!“

Wenn man noch Eltern hat, ist das mit dem Kindbleiben also keine bewusste Entscheidung. Obgleich man es sich mit Erich Kästner sowieso fest vorgenommen, unterwegs aber ein bisschen vergessen hat. Und trotzdem bleibt die Frage, abseits von bildhübschen Praktikantinnen, die einen siezen: Woran merkt man, dass man auch als Kind alt wird? Daran, dass die Lieder, zu denen man zum ersten Mal geknutscht hat, längst auf SWR 1 kommen? Dass man um 5.30 Uhr morgens aufsteht und nicht mehr nach Hause kommt? Dass man Spaß an Gartenarbeit haben könnte? Nein, man merkt es, wenn Sohn P. etwas aus einer Zeitschrift herausreißt und es mit einem Grinsen und den Worten „vielleicht kannst du das brauchen“ über den Tisch schiebt: das Pröbchen einer Anti-Age-Creme.