Das große Ding auf dem Markt der Ratgeberbücher und Kinderbücher sind Starkmachbücher. Leider, findet StZ-Kolumnist Matthias Hohnecker. Aus Gründen.

Stuttgart - Alle Erziehungsratgeberschreibberechtigten und Kinderbuchautoren teilen einem pflichtgemäß mit, nein, sie schreien einen geradezu an: Man muss Kinder ermutigen! Mut machen, das ist das ganz große Ding auf dem Kinderratgeber- und natürlich auch auf dem Kindernichtratgeberbuchmarkt.

 

Als Beleg deshalb zunächst eine stundenlange Aufzählung des Status quo aus dem Mutbüchersegment: „Kleine Helden – großer Mut: Geschichten, die stark machen“ von Angelika Bartram und Jan-Uwe Rogge. Und natürlich: der Lesemaus-Sonderband „Kindergarten-Geschichten, die Mut machen“. Und „Groß und mutig, das bin ich! Geschichten, die Kinder selbstbewusst machen“, illustriert von Dagmar Henze. Und „Gefühle machen stark: Geschichten von Mut, Selbstbewusstsein und Versöhnung“ von Achim Bröger. Und die „MutMacherKiste“ von Michael Stahl. Und „Angst hab’ ich keine: Geschichten, die Kindern Mut machen“ von Claudia Mayr. Und „Vom Großwerden und Starksein. 36 Bilderbuchgeschichten, die Kinder mutig machen“. Und „Nur Mut“ von Kurt Hörtenhuber. Und „Kindern Mut machen: Hilfe bei Schüchternheit und Ängsten“ von Sabine Friedrich und Volker Friebel. Und „Kleine Helden, großer Mut“, die Folgen 1 bis was weiß denn ich, wiederum von Bartram und Rogge. Und „Du schaffst das schon – Mutgeschichten, die Kinder stark machen“ von Sabine Kalwitzki. Und „Nur Mut, du bist stark!“ von Christine Jüngling. Und „Nur Mut, Willi Wiberg“ von Gunilla Bergström. Und „Ich will mutig sein: Vorlesegeschichten vom Angsthaben und Sich-Trauen“ von Elisabeth Zöller. Und „Das Mutbuch: Das persönliche Buch für mehr Selbstbewusstsein: reinschreiben, nachlesen, mitmachen, gut fühlen“ von Marion Grillparzer. Und und und . . .

Man könnte so viele Mutbücher heimtragen aus der Lieblingsbuchhandlung, bis man selbst einen Mut machenden Ratgeber bräuchte: „Mut zur neuen Hüfte!“ von Heidi Rauch und Peter Herrchen zum Beispiel, weil man sich verhoben hat. Also Leute, macht den Kindern bitte, bitte endlich Mut, damit diese Mutschreiberei aufhört. Man muss halt aufpassen, dass man sie nicht mutwillig zu Mutationen macht.

Bei Tochter E. (9) hätte diese ganze Mutprobiererei allerdings überhaupt keinen Sinn. Sie kühlt ihr Mütchen an allem und allen, auch ohne dass der Vater nur eines dieser Bücher berührt, gelesen oder auf sie geworfen hätte. Sie ist stark, von sich aus. Sagt man ihr zum Beispiel, dass eine dicke Daunenbettdecke bei 30 Grad Nachtschlaftemperatur, geschlossenem Fenster und zurzeit fehlender Dachdämmung echt mutig warm sei, sagt sie schlicht: „Genau!“ Die Decke bleibt genauso auf ihr liegen wie das Fenster geschlossen bleibt. „Die Zukunft gefährdet meine Gesundheit“, sagt sie dann noch. Was ein Satz für die Ewigkeit ist, der auch dadurch nicht schlechter wird, dass Tochter E. sich neulich bei Tante V. verhört hat. Tante V. sagte über eine darbende Orchidee an ihrem Fenster: „Wahrscheinlich gefährdet die Zugluft ihre Gesundheit.“ Eines sei auch noch gesagt in diesem Mutmacherzusammenhang: Tante V. ist keineswegs eine Mutante V.