Wenn Kinder fiebern, wird es ungemütlich. Vor allem für die Väter. Schließlich müssen sie dann ihre geballte medizinische Kompetenz unter Beweis stellen. Unser Kolumnist Martin Gerstner hat schon den weißen Kittel an.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Martin Gerstner (ges)

Stuttgart - Schnorchelnde, schleimige Geräusche beim Ausatmen, feinblasige Bläschen, fleckiger Ausschlag, nicht selten Durchfall, weiße Pünktchen und roter Abszess: genau, es geht hier um Kinderkrankheiten. Sie sind neben der dritten Strophe von „Guter Mond . . .“ und der Herstellung eines Kartoffelstempels die größte Herausforderung für Eltern, insbesondere für Väter. Ihnen liegt ja eher das prozesshafte Denken: Man gibt etwas hinein und wartet, was herauskommt. Mit der Interpretation von Krankheitsbilden tun sie sich schwer: Das Kind hustet. Aber ist dieser Husten jetzt „bellend anfallsartig, mit Würgereiz, juchzender Einatmung oder spastischem Fiepen“ verbunden? Oder haben wir es mit „Schüttelfrost und spitzpapeliger Zungenoberfläche“ zu tun? Womit nur einige Aggregatzustände des kränkelnden Kindes gelistet wären, die in Standardwerken einen pandämonischen Reigen tanzen.

 

Für den Mann ist ein krankes Kind also eine echte Herausforderung. Er weiß, dass Sätze wie „stell dich nicht so an“ oder „wird schon wieder“ oder „vielleicht legst du dich mal kurz hin“ therapeutisch von begrenztem Wert sind. Meist rettet er sich mit dem Satz „ich ruf da mal die Mama an“ aus der bedrohlichen Situation. Die Mutter analysiert nüchtern die Symptome und entscheidet knapp: „Da warten wir ab.“ – „Nehme ihn morgen mit zum Arzt.“ – „Lasse ihm was Stärkendes verschreiben.“ – „Gehen wir in die Notfallambulanz.“ Kurz: Mütter wissen immer, was zu tun ist. Aufgrund einer noch nicht entschlüsselten genetischen Korrelation haben sie alle bereits erlittenen Kinderkrankheiten und die der Verwandten siebten Grades im Gedächtnis. Für den Vater dagegen ist die Frage des Arztes, gegen welche Krankheiten sein Kind geimpft sei, Anlass zu   verlegenem Hüsteln (nicht Husten) und krampfartigem Nachdenken („Also, diese Kinderkrankheiten, Masern, Grippe und so, glaube ich, aber da  müsste ich noch mal nachschauen . . .“). Allerdings sind viele Ärzte mittlerweile auf Väter mit kranken Kindern eingerichtet, die auf die Frage „Was fehlt dem kleinen Patienten denn?“ antworten: „Na ja, er funktioniert nicht mehr so richtig.“

Okay, das ist jetzt natürlich nur ein Teil der Wirklichkeit. Viele Väter kümmern sich hingebungsvoll um ihre kranken Kinder und wissen auch Keuchhusten von Windpocken zu unterscheiden. Allerdings behalten sie dann ihr Expertentum auch in der Arztpraxis nicht für sich: „Sie meinen, Antibiotikum? Nein, wir machen erst mal Umschläge. Wissen Sie, wir sind keine Anhänger der Schulmedizin . . . “ Immer mehr Ärzte reagieren darauf mit Lymphknotenschwellungen und Himbeerzunge.

Wichtig: die latente Schwerhörigkeit bei Kindern und Jugendlichen, oft verbunden mit sarkastischem Fiepen, maulfaulem Schulterzucken, stoßweisem Protestgeschrei oder konvulsivischem Um-sich-Schlagen ist kein anerkanntes Krankheitsbild! Der Erziehungsberechtigte sollte darum dem auftretenden Würgerreflex widerstehen. Therapeutische Maßnahme sind vielmehr der sofortige Konsum mittelschwerer Alkoholika und Taschengeldentzug.