Es gibt Eltern, denen kommen die Sprösslinge gerade recht, um ihren eigenen Status zu markieren. Das kann ganz schön aufwendig sein. Und außerdem werden diese Eltern früher oder später schon sehen, was sie davon haben, meint Martin Gerstner.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Martin Gerstner (ges)

Stuttgart - Sie legen Wert auf Stil? Haben Ihre Wohnung mit geschmackvoller Unerbittlichkeit möbliert? Fahren mit einem Retrorad durch die City? Pflegen die Kunst der Nassrasur? Kaufen den Barolo beim Händler des Vertrauens? Wissen, dass Chinos und Penny Loafers keine Popgruppe und Saarinen kein finnischer Skilangläufer ist? Ach ja, und ganz nebenbei haben Sie Kinder? Damit fallen Sie ganz in das von Soziologen ausgeklügelte Raster der bürgerlichen Familie, die von der Politik mit allen Mitteln bei Laune gehalten wird. Man umwirbt die Besserverdiener, deren Kinder biodynamisch ernährt, mit ausgewählten Bildungsangeboten traktiert und auf dem Rücksitz eines SUV zum Waldorfkindergarten chauffiert werden. Wenn das Bürgertum seine Fruchtbarkeit entdeckt, so das Kalkül, könnten die verdrießlichen Debatten über soziale Verwahrlosung, Bildungskatastrophen, zügellosen Medienkonsum und Alltagsgewalt erst mal zurückgestellt werden.

 

Die Angesprochenen nehmen die Vorlage der Politik dankbar an, Werbung und Industrie erkennen eine melkfähige Zielgruppe. Ein Haarband von Anne Valerie Hash für 35 Euro? Ein entzückender Strickbolero von Lili Gaufrette (70 Euro), ein Pulli von Il Gufo (noch teurer)? Schon ist der nötige Abstand zur H-und-M- und C-und-A-Masse gewahrt. Es geht aber nicht nur um modisches Chichi, sondern um alle Facetten der kindlichen Erlebniswelt. Produkte wie ein Rutschauto für den Dreijährigen (105 Euro) oder ein Massivholz-Hüttenbett (600 Euro) versprechen eine Kindheit im Koordinatensystem von Fürsorge, Wohlstand und Qualitätsbewusstsein. Und mit derlei Luxusprodukten lassen sich Kinder wunderbar zu einem Instrument der sozialen Distinktion machen.

Kleine Unterschiede gegen bürgerliche Abstiegsängste

Denn das bürgerliche Lager, an den Rändern zerfasert und stets von Abstiegsängsten bedroht, ist anfällig für die kleinen Unterschiede, für die Rettungsanker in unruhiger Zeit. Deshalb schiebt man die Kinder vor. Man will kein Snob sein, sondern ein tüchtiger Mitbürger, dem das Beste gerade gut genug für den Nachwuchs ist. Man lässt lächelnd durchblicken, wie schwer es ist, die russische Klavierlehrerin und den Ballettunterricht zu bezahlen, und schwärmt von der neuen Bescheidenheit eines Biobauernhofs als Urlaubsziel.

Unangenehm allerdings, wenn Sohn oder Tochter mit all den Rüschen, Strickwaren, Konzertbesuchen und Tofubratlingen nichts anzufangen wissen. Wenn plötzlich ein Kevin im Freundeskreis auftaucht oder beim gemeinsamen Einkauf jenes giftgrüne Sweatshirt mit dem aufgedruckten Monster aus chinesischer Produktion präferiert wird. Wenn der Baumarktbesuch interessanter ist als das Ballett, die Ergebnisse der Vorleseexerzitien anderntags mit der Lektüre von Comics und Fußballalben zunichte gemacht werden. Ist das nicht eine schwer erträgliche Egozentrik der Kinder, die sich partout nicht den Regeln ihrer sozialen Klasse beugen wollen? Rührt sich da schon ein erstes Aufbegehren gegen das Gutmenschentum der Postmoderne? Oder sind Kinder einfach doch die klügeren Menschen? Tja.