Heute wird schon das Neugeborene Freunden mit besonders kreativen fotografischen Einfällen präsentiert. Da kommt es zu manch schlimmer Geschmacksverirrung, findet die StZ-Kolumnistin Eva Maria Manz.

Stuttgart - Schon während der Schulzeit gab es jene Mädchen, die jedes Jahr wieder einen dieser Anne-Geddes-Kalender aus ihren Taschen zogen. Wer Geburtstag hatte, bekam von ihnen eine Karte mit einem Baby in dieser typischer Pose vorne drauf geschenkt: in einer großen Hand liegend (wie winzig!), mit Blumenschmuck auf dem Kopf, als Zwerg oder Bär „verkleidet“, meist irgendwie schlafend. Jene Mädchen scheinen nur darauf gewartet zu haben, dass die Jahre vergehen, sie selbst schwanger werden und – na, was wohl – ihre neugeborenen Kinder, kaum geschlüpft, in Anne-Geddes-Gedächtnispose ablichten lassen können. Abgesehen davon, dass es bereits bei Anne Geddes albern ist – man denke an die grünen Zuckerschoten, aus denen ein Kinderkopf hervorlugt oder an die überdimensionierten violetten Schmetterlingsflügel, die den Babys aus den Flanken zu wachsen scheinen – wird es nicht besser dadurch, dass die Fotos von Tanja Scheifele aus Filderstadt-Bernhausen gemacht werden (natürlich ein frei erfundener Name und Ort, lieber Leser).

 

Kaum ist das Kind geboren, wird es im hell ausgeleuchteten Fotostudio der Tanja Scheifeles dieser Welt in eine nachgebildete Nussschale gelegt, bekommt Bärchenohren aufgesetzt oder pinkfarbene Plüschblumen um den Rumpf gewickelt. Beliebt sind auch die saisonalen Modelle: Osterhasen-Outfits, Nikolausmützen, über den Babyköpfen baumelnde Ostereier. Manche Eltern scheinen genau zu wissen, was ihre Kinder lieben. Auf ihren Fotos tragen die Neugeborenen Mützen mit der Aufschrift „I love Mom“. Auf manchem zarten Köpfchen prangt eine Prinzessinnenkrone, der Schriftzug auf einer Strickdecke im Bild lässt uns wissen: „I am Daddy’s little Princess.“ Würg! Dagegen ist die umgebundene Minikrawatte mit Klaviertastatur darauf fast wieder cool. Mancher scheint auch früh zum Denker- und Intellektuellentyp erkoren zu werden: eine Baskenmütze zeichnet diesen Neugeborenentypus aus. Das erste selbst geschriebene Gedicht ist da nur noch ein Augenzwinkern entfernt.

Man mag sich nicht ausmalen, wie diese auf den Bildern später so friedlich anmutenden Situationen in Wahrheit abgelaufen sein müssen! Das Kämpfen um den Moment, in dem sich das Babygesicht mal einigermaßen entspannt, die Tränen getrocknet sind. Aber kein Wunder, ich hätte auch keine Lust, in ein Giraffenkostüm gezwängt zu sein, von den künstlichen Sonnenblumenblättern in meinem Gesicht gekratzt zu werden oder das Gewicht eines im Vergleich zu mir gigantischen Stofftierteddys auf meinem Rücken zu tragen.

Junge Eltern fügen beim Verschicken solcher Bilder auch oft noch einen kreativen Text an: „Hallo, ich heiße XY, hatte gestern ’nen Wasserschaden in meiner Bude und habe beschlossen, vorzeitig auszuziehen. Mir geht’s prima, will euch unbedingt bald kennenlernen!“ Was für Unterstellungen! Das Kind kann einem das alles irgendwann doch so was von vorhalten! Man sollte mit seinen Karten da auf Nummer sicher gehen, in etwa so: „Hab gerade auf Mamis neuen Pullover gekotzt. Und es wird wieder passieren.“ Da kann man nicht falsch liegen.