Eltern und Nicht-Eltern – manchmal liegt ein tiefer Graben zwischen beiden. Gut, dass es noch das Kind gibt, findet die StZ-Kolumnistin Julia Schröder.

Stuttgart - Eltern sein – das haben die wenigsten Paare von der Pieke auf gelernt, und vielen von ihnen merkt man das auch an. Wie oft wird die leider irgendwann nicht mehr unbeteiligte Beobachterin Zeugin schlimmen pädagogischen Versagens in Bus und Bahn und Biomarkt!

 

Die einen stellen bewegungshungrige Siebenjährige mit lautstarkem Elektrospielgerät ruhig, weil man ja gar nicht früh genug damit anfangen kann, die Mitwelt zur Beachtung eigener Unterhaltungsbedürfnisse zu pressen. Die anderen ermahnen ihre gelangweilten Winzlinge so lang mit enervierendem Gezischel zu diesem und jenem, bis die in hilfloses Geschrei ausbrechen oder sich histrionisch zu Boden werfen. Was man ihnen nicht einmal verdenken kann.

Zugleich lernen junge Eltern eines ganz schnell: zu vergessen, wie es ist, keine eigenen oder überhaupt keine Kinder zu haben. Das wiederum hat vermutlich mit irgendwelchen Hormonen zu tun und ist im Prinzip eine weise Einrichtung der Natur, so von wegen Neid auf die Ungebundenen mit dem ungestörten Nachtschlaf. Aber zugleich spaltet es auch die Menschheit.

Die wohlwollende Verwandtschaft meint es auch bloß gut

Wenn beispielsweise Großvater, Großmutter, Tante und Kind in zunehmend dumpfer Stube versammelt sind, bis das Kind aller Bespaßung zum Trotz zu quengeln beginnt und die in die unterdessen nicht mehr dumpf, sondern wirklich schlecht riechende Stube tretende Kindsmutter ausruft: „Drei Erwachsene hängen hier herum, und keiner kommt mal auf die Idee, dem Zwerg die Windel zu wechseln, ich fass es nicht!“ (Und wehe, die Oma erzählt dann was vom Töpfchen . . .) Oder wenn Onkel und Tante dem geliebten Neffen zum zweiten Geburtstag gratulieren wollen und der jungen Familie ein gepflegtes Mittagessen zu spendieren gedenken, worauf der Bescheid erfolgt: „Um halb eins ins Restaurant? Wo denkt ihr hin? Um halb eins muss der spätestens ins Bett, ohne Mittagschlaf geht gar nicht!“ Ganz verkehrt auch, was der Opa so mit dem Kleinen anstellt: „Wieso nimmst du ihn denn jetzt hoch, der war doch gerade ganz zufrieden? Ich fass es nicht!“

Ja, man fasst es nicht, keine Seite von beiden fasst es. Denn die wohlwollende Anverwandtschaft meint es ja ihrerseits nichts als gut. Man will bloß das Beste für das Kleine. Man will sich aber nicht aufdrängen. Man will doch nur eine Bindung aufbauen. Man will ja helfen und unterstützen, aber wie? Und freilich, man will irgendwann auch mal wieder seine gewohnte Ruhe, wozu hat das Kind schließlich Vater und Mutter.

Aus all dem, diesem gähnenden hermeneutischen Abgrund zwischen Eltern und Nicht-Eltern, könnte viel Ungemach, Unmut und Unlust aufsteigen. Aber glücklicherweise gibt es ja noch das Kind selbst, und alles ist gut, wenn der kleine Schatz ans Telefon gerufen wird und niedlich plappernd herbeitappelt und die Mami ermunternd kundtut, „Hör mal, wer da ist! Willst du mal mit der Tante sprechen? Ja? Sag mal ,hallo, Tante’!“ und die Tante in freudiger Erwartung lauscht – und dann erklingt aus Kindermund ein entschiedenes „Neihein“. Unbezahlbar.