Früher haben Kinder nur dann etwas gesagt, wenn sie gefragt wurden. Diese Zeiten sind längst vorbei. Heute wird diskutiert. Aber Diskussionen mit einem Dreijährigen? Darauf kann man sich nicht vorbereiten. Unser Kolumnist Dieter Fuchs schlägt sich tapfer.

Seite Drei: Dieter Fuchs (fu)

Stuttgart - Es läuft alles auf diesen einen, schicksalhaften Satz zu, und ich frage mich, wie mir zumute sein wird, wenn ich ihn ausgesprochen habe. Manchmal sehe ich in den Spiegel und überlege, ob es anders hätte kommen können, ob sich vielleicht alles mit dem Charakter des Stammhalters erklären lässt. Fest steht: ich kann die erzieherischen Wahrheiten meiner Eltern immer besser nachvollziehen. Es wird nicht mehr lange dauern, bis ich laut und vernehmlich ins Esszimmer rufen werde: „Solange du die Füße unter meinen Tisch stellst, tust du, was ich dir sage!“

 

Unser Älterer ist drei Jahre und drei Monate alt. Meiner Erinnerung nach ergriff ich in seinem Alter nur das Wort, wenn ein Erwachsener mich dazu aufforderte. Unser Sohn hingegen äußert ungefragt seine Meinung zu diesem und jenem, in der Überzeugung, er sei erwachsen und ein vollwertiges Mitglied unserer Wohngemeinschaft genannt Familie. Er gründet diese Haltung auf seine erworbenen Kompetenzen: Er kann allein aufs Klo gehen und Fahrrad fahren. Ergo kann er auch sein restliches Leben selbst gestalten, wenn nur die Kohle für Bonbons, Eis und Spielzeugautos zur Verfügung gestellt wird. Wenig verwunderlich, dass seine Vorstellungen in Sachen Tischsitten, welche Dinge kaputt gemacht werden dürfen, Schlafenszeiten und Zähneputzen von den unseren abweichen. Sein im festen Ton vorgetragenes „Das will ich aber nicht“ soll genügen.

Der Stammhalter soll Selbstvertrauen entwickeln

Das tut es natürlich nicht. Aber was folgt daraus? Als sich diese Entwicklung anbahnte, fiel ich auf seine Diskussionstaktik herein und ließ mich in Gespräche verwickeln, deren Absurdität mir oft erst hinterher bewusst wurde. Warum darf man einen Tankdeckel nicht abreißen? In welchem Temperaturbereich ist warme Milch genießbar, ab wann ist sie zu heiß oder zu kalt? Warum darf er nicht vorn sitzen, wenn wir zu viert mit dem Auto unterwegs sind? Und vor allem: was passiert, wenn unser Dissens am Ende der Diskussion bestehen bleibt?

Man will vermeiden, dass der Stammhalter durch übertriebene Zurechtweisung in seiner Entwicklung gehemmt oder gar neurotisch wird. Er soll Selbstvertrauen entwickeln und die Welt erobern. Aber nur dann, wenn es passt. In der Folge entwickelt man sich in den Auseinandersetzungen immer mehr zu einem postmodernen Abbild des eigenen autoritären Vaters.

Einer meiner Tricks funktioniert im Moment noch prima: die geliehene Autorität. Der Bademeister als Schreckgespenst des Planschbeckenbenutzers. Knecht Ruprecht als Albtraum böser Kinder am Nikolaustag, der nicht nur Geschenke verhindert, sondern sogar Spielsachen mitnehmen kann. Ich erwäge, Sankt Martin und den Osterhasen disziplinarisch einzusetzen. Aber längst hat der Sohn die Hierarchien der Realität erkannt. Kürzlich machte ich darauf aufmerksam, dass ich ihm durchaus auch etwas zu sagen hätte, weil: „Ich bin dein Vater, und du bist mein Kind!“ Spontan leugnete er das. Er rang nach Worten, suchend nach einem Status, der ihn an die Spitze jeder denkbaren Befehlskette stellen würde: „Ich bin, ich bin, ich bin . . . die Mama!“