Kinder werden älter. Was soll nur werden, wenn das Kind zum ersten Mal mit den Augen rollt, wenn es bei der Tante übernachten soll? Alternativen müssen her. Unsere Kolumnistin Verena Mayer hat sich schon ein paar ausgedacht.

Region: Verena Mayer (ena)

Stuttgart - Unter den unvorstellbar vielfältigen Leiden (unter anderen: Hunger, Pipi, kalt) ist das am allermeisten unterschätzte: das Leiden der Tanten. Betroffene sprechen inzwischen auch von Tantelenqualen.

 

Die Ursache dafür sind nicht, wie nach Bekanntwerden der ersten Fälle vielfach vermutet, die tantenhaften Zuschreibungen altjüngferlich, betulich, etepetete, fürsorglich und prüde. Nein, die Ursache für die Tantelenqualen ist die Angst vorm Älterwerden, also dem Älterwerden der Kinder, deren Tanten die Tanten sind.

Wie wird es sein, wenn das Kind eines Tages keinen Wert mehr auf den empathischen Besuch des Musikschulvorspiels legt? („Deine Blockflöte hat am schönsten geklungen!“)

Was soll nur werden, wenn das Kind zum ersten Mal mit den Augen rollt, weil es den Riesenwitz der Tante als Riesen-Sparwitz entlarvt hat? („Was ist bunt und läuft über den Tisch davon? – Ein Fluchtsalat!“)

Worüber noch reden, wenn das Kind merkt, die Tante ist wider Erwarten nicht allwissend? („Ach was, Selena Gomez ist nicht die Frau von Mario Gomez?“)

Warum noch Abenteuer suchen?

In extremen Fällen kann die Angst der Tanten existenzielle Ausmaße annehmen: Warum noch Abenteuer suchen, wenn sich die Kinder nicht mehr auf Abenteuer freuen. Zumindest nicht auf die mit der Tante, die sich in durchwachten Nächten Dialoge wie diesen ausmalt:

„Na, wann kommst du mal wieder zum Übernachten?“

„Weiß net?“

„Wie wär’s am Samstag? Wir könnten im Garten zelten, mit Lagerfeuer und Stockbrot. Wie damals, weißt du noch? Das war toll!“

„Da hab ich schon was vor.“

„Vielleicht am Samstag drauf? Wir könnten auch nur ins Kino gehen.“

„Da isch net so gut.“

„Übernächsten Samstag? Du brauchst ja nicht zu übernachten.“

„Da muss ich lernen.“

Tja, das muss die Tante irgendwann wohl auch: lernen. Dass sich die Zeiten geändert haben. Dass das Kind älter wird und dass es nicht schaden kann, wenn die Tante das auch tut oder zumindest mal versucht.

Es muss doch noch anderes geben als Stockbrot am Lagerfeuer. Schwarzwälderkirsch und Sahne vielleicht?

Oder eine Reise nach Rimini im Omnibus statt einer rasanten Abfahrt in der Reifenrutsche?

Ist es nicht angemessener Bridge zu spielen als Mord im Dunkeln?

Bereichert ein Klavierkonzert im Kurhaus die Sinne nicht viel mehr als ein Vuvuzela-Wetttröten im Auto?

Doch, doch, ganz bestimmt ist das so! Betroffene warnen jedoch vor ungewollten Alterserscheinungen: Tanten, die gezwungenermaßen versuchen, angemessen zu altern, werden schnell zu tantenhaften Tanten. („Deine Hose hat ja ganz viele Löcher.“ „Warum hast du denn im Haus eine Mütze auf dem Kopf?“). Und noch schlimmer als Tantelenqualen sind Tantchenqualen. Speziell für die Kinder, deren Tanten die Tanten sind.

Liebe Kinder, ihr wisst, was das heißt: Geht zur Tante! Bitte! Ihr müsst auch nicht übernachten. (Aber abenteuerlich schön wär’s schon!)