Sie oder wir: das ist, kurz zusammengefasst, das Motto bei der Wochenendgestaltung. Wenn die Eltern von einem Familienwandertag (Trecking) erzählen, denken die Kinder nur an Schlamm(Drecking). Am Ende landet man im Spaßbad und es regnet.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Martin Gerstner (ges)

Stuttgart - Sie oder wir. Auf diesen klassischen Antagonismus reduziert sich der Kampf um die gemeinsame Freizeitgestaltung von Eltern und Kindern. Klingt brutal, finden Sie? War vielleicht früher so, ist aber heute alles ganz anders, finden Sie? Sie lesen wahrscheinlich moderne Eltern-Kind-Zeitschriften, in denen „ein tolles kinderfreundliches Hotel für den Wochenendtrip in Florenz“ empfohlen wird oder in traumverlorenen Bildern die Idylle eines Fahrradausflugs in irgendeine stadtnahe Einöde vorbeischaukelt?

 

Ja, hängen Sie diesen Trugbildern ruhig noch ein wenig nach. Alsbald dringen Sätze wie: „Mann, ist das langweilig.“ – „Wie lange müssen wir noch?“ – „Gibt’s ’n Eis?“ in die Idylle. Wir befinden uns nämlich in der Realität eines Familienausflugs am Wochenende. Findige Eltern planen diese Exkursionen akribisch, um das Schlimmste zu verhindern. Sie legen Einkehrmöglichkeiten oder Waldlehrpfade auf die Route und kleiden das Ganze in verheißungsvolle Begriffe wie Hiking oder Trekking ein. Kinder hören statt Trekking Drecking und freuen sich auf ausdauernde Matschorgien und auf das nachhaltige Durchnässen ihrer Funktionskleidung.

Sie oder wir

Wehe, wenn dieses Tableau Risse bekommt! Wenn sich der Pfad als langweiliger geteerter Fußweg entpuppt und am Kiosk statt Lutschfinger nur Solero, Calippo oder irgendein anderes aus der künstlichen Aromenküche zusammengebrautes Tiefkühlprodukt vorrätig ist. Der Nachwuchs versteht dies als persönliche Brüskierung und unterstellt den Eltern Egoismus, eben gemäß des Prinzips Sie oder wir.

Nach kurzer Zeit resignieren die Eltern. Sie sind nicht so leidensfähig, wie vorhergehende Generationen, die damals einfach weitermarschierten. Das Sie hat gesiegt. In dieser Phase entfaltet die organisierte Familienfreizeithölle der Spaßgesellschaft ihr ganzes Potenzial. Verdichtet wird dies in der Institution des Spaßbads, das erfunden wurde, um den Menschen von jeder Form der Kontemplation, der Ruhe und des friedlichen Vor-sich-hin-Träumens fernzuhalten.

Bei Regen im Spaßbad

Sie waren noch nie an einem regnerischen Wochenende in einem Spaßbad? Sie wollen wissen, wie es sich anfühlt? Wirklich? Nun gut, stellen Sie sich vor, Sie stehen bis zum Knie in 28 Grad warmer Flüssigkeit, die mit einem Bombardement von Hochleistungschemie von den schlimmsten Keimen befreit wird, und starren gegen eine Wand. Die Wand ist der behaarte Rücken eins Vaters, der vor Ihnen steht und zwei Kinder durchs Wasser schleift. Wenige Meter entfernt schießen Halbwüchsige wie Torpedos aus einer Wasserrutsche. Allerdings können Torpedos nicht so laut schreien. Nach den Kindern rutschen die Eltern. Ihre Gesichter wirken verkrampft, die Hautfarbe ist fahl. Sie schreien auch, aber aus Todesangst.

Das Spaßbad muss in einer Reihe mit dem Freizeitpark, dem Zoo und diversen Massensportevents genannt werden, in die Familien am Wochenende getrieben werden. Eltern die aus diesem Stahlbad wieder auftauchen, bleibt nur ein Trost: Am Montag dürfen sie wieder arbeiten.