Die letzten Wochen des Jahres halten schöne Herausforderungen für Eltern bereit. Allein die Laternenläufe zu Sankt Martin erfolgreich zu absolvieren erfordert einiges an Logistik und Unerschrockenheit. Unser Kolumnist Christoph Schlegel ist immer dabei.

Stuttgart - Inzwischen habe ich geschätzt 48 Sankt-Martins-Feste in vier verschiedenen Kindergärten, drei Schulen und zwei Kirchen hinter mir. Was ich schon durch die Straßen gewandert bin, mit meiner Laterne, und meine Laterne mit mir. Aber von Müdigkeit keine Spur. I wo. Motiviert wie Jürgen Klopp marschiere ich jedes Mal frohgemut und energisch vorneweg. Ich bin derjenige, der laut und vernehmlich mitsingt, der immer wieder anstimmt und andere Eltern animiert: „He, und jetzt noch mal: ‚Sankt Martin ist ein guter Mann‘!!!“

 

Egal, ob es in Strömen regnet, wir durch Pfützen, Matsch und Hundekot laufen, oder uns vor Kälte fast die Finger abfallen: ich bin vorne mit dabei, mit meiner Laterne und meine Laterne mit mir.

Hinterher schaufel ich rein, was auf den Biertischen steht: Weckmänner, Kürbissuppe, Bratwürste, Kinderpunsch. Muss alles rein. Die Erzieherinnen strahlen. Auf dem Heimweg singe ich noch zwölfmal „Sonne, Mond und Sterne!!!“ und puste erst ganz spät meine Kerze aus. Leider, leider ist diese Ernsthaftigkeit nicht überall anzutreffen. Ein Kollege hat neulich von seiner eher östlich geprägten Kita in Berlin-Mitte berichtet. Dort dürfe man nicht Sankt Martin sagen, dort gebe es im November immer nur das „Laternenfest“, ohne den Heiligen. Etwas sarkastisch fügte er hinzu, seine Tochter freue sich nun im Dezember auf das „Sackfest“, das „Baumfest“ und im nächsten Frühjahr auf das „Eierfest“.

Was ich im Gegensatz zum Laternenlaufen nicht so doll beherrsche, ist das Gespräch mit Müttern. Im Gespräch mit der Mutter eines Klassenkameraden kannst du nur verlieren. Die Situation mag belanglos sein: Du holst den Sohn von der Basketball-AG ab, stehst an der Turnhalle rum. Dann spricht dich eine Mutter an. Alarm. Du weißt: Das wird kein Small-Talk, da kannst du nicht einfach einen Witz machen. Nein, jetzt geht es um harte, belastbare Fakten. Jetzt geht es um KINDER!

Thema ist die nächste Englischarbeit, sie wollen nur wissen, ob dein Sohn gelernt hat, lernen wird, ob er schon alles kann, ob er sagt, dass er alles kann, was er alles kann, was er noch nicht kann. Sie fragt scheinbar belanglos, es wirkt harmlos, und doch registriert sie jedes Zucken deines Mundes, jedes Überlegen. Sie sucht nach kleinsten Details, Hinweisen. Sie sieht, ob du zu Seite blickst oder dich am Kopf kratzt.

„Ach, die haben eine Englischarbeit“, sagst du. Fehler! Du spürst wie sie abwägt: „Ist es eine Schutzbehauptung? Oder weiß er es wirklich nicht?“ Sie fixiert dich wie ein Abhörspezialist des FBI. Würde man später ein Video dieses Gesprächs auswerten, der Kriminalpsychologe würde sagen: „Da, bei der Frage, da fasst er sich an die Nase, und da, da schaut er nach oben, wer nach links oben schaut, der sucht gerade nach einer Geschichte und sagt eben nicht die Wahrheit.“

Das alles geht einem durch den Kopf, im Gespräch mit einer Mutter. Zum Glück kommt dann endlich der Sohn aus der Turnhalle. Wir verabschieden uns rasch möglichst neutral voneinander – und gehen gemeinsam zum nächsten Laternenlauf.