Wenn Kinder über Erwachsene lachen, weil sie Sonnenblumen aus Töpfen und Schildkröten aus Tierhandlungen retten, kann das auch ein Kompliment sein. Diese Erfahrung hat unsere Kolumnistin Verena Mayer mit ihrer Nichte gemacht.

Region: Verena Mayer (ena)

Stuttgart - Wenn die Sonnenblume genau wüsste, wie sie in dem Garten gelandet ist, würde sie sich bestimmt sofort besinnen, ihre schlaffen Blätter schütteln, einen Wachstumsschub hinlegen, der sich gewaschen hat, und auf der Stelle ihre trüben Knösplein öffnen.

 

Die Sonnenblume ist das Resultat eines harmlosen Einkaufsbummels, der sich in Wahrheit als ganz und gar unharmlos erweisen sollte. Das kam so: Die Sonnenblume kreuzte den Weg des Kindes – man sprach darüber, es ist ein Nichten-Kind –, als es nach langer, langer Zeit mal wieder der Tante einen Besuch abstattete. Das Gewächs stand fast vertrocknet und so blass in einem Ramschregal vor einem Supermarkt, dass es eigentlich schon fast ein Gestrüpp war. Man sollte, sprach die Tante, die Sonnenblume aus ihrer unartgemäßen Lagerhaltung retten, sie befreien vom Joch des gammeligen Topfes, sie aussetzen an einem Platz mit nahrhafter Erde, leckerem Wasser und güldenem Licht. Auf dass sie sich entfalten kann und tun, was eine Sonnenblume tun muss.

Da lachte das Kind, wischte sich mit der einen Hand die Tränen aus dem Gesicht hielt sich mit der anderen den Bauch, – und gluckste: „Voll süß!“

Tja.

Es hat eine Zeit gegeben, in der war es dem Kind das Selbstverständlichste auf der Welt, Schildkröten aus überfüllten Terrarien in Tierhandlungen zu befreien. Und Hamster, denen es gewiss ein großer Graus war, ihr Häuschen mit unzählbaren anderen Hamstern zu teilen. Und schließlich Vögel. „Vögel“, dozierte das Kind, „brauchen Freiheit.“ Dass es die in einem Zoogeschäft nicht geben kann, verstand sich von selbst.

Auf ähnliche Weise kamen auch allerhand Polyesterwürmer und diverse Plastikpferde (gerettet mittels kostenpflichtiger Greifzangen aus riesigen Plexiglasboxen auf diversen Jahrmärkten) ins Haus, aber das nur der Vollständigkeit halber.

Man freute sich, wenn das Kind sich freute

Man machte diese haarsträubenden Aktionen gerne mit. Man verteidigte sie glühend vor der zürnenden Kindsmutter, der eher früher als später der Platz im Haus und nicht vorhandenen Hof knapp wurde. Man freute sich, wenn das Kind sich freute, weil es glaubte, den Tierchen einen Dienst erwiesen und die Welt besser gemacht zu haben, wenigstens einen Teil davon. Man fand das – süß!

Und jetzt ist es also so, dass das Nichten-Kind die Tante süß findet.

„Süß“ ist, dass die Tante Gurken anbaut.

„Süß“ ist, dass sie Blumen pflanzt, die Bienen mögen.

„Süß“ ist, dass sie die Kuh, die ihr Milch gibt, beim Namen (Elsa) nennt.

Und „voll süß“ ist – wie gesagt – , dass diese Tante eine fast verdorrte Sonnenblume befreien will.

Warum sagt das Kind nicht gleich: „Es ist umständlich, Gemüse selbst zu pflanzen.“ Oder: „Es ist affig, Bienen zu füttern.“ Oder: „Es ist uncool mit Kühen zu sprechen.“ Oder: „Es ist naiv, eine Sonnenblume retten zu wollen.“

„Weil es süß ist“, sagt das Kind, bezahlt die Sonnenblume und gräbt ihr im Garten ein Loch.