Klavier, Rudern, Fußball, Theatergruppe – wer Nachwuchs hat, fährt täglich von A nach B. Das freut die Ölbarone. Unser Kolumnist Christoph Schlegel ist ganz erschöpft.

Stuttgart - Wenn sie zu alt für die Babyklappe sind und man sich damit anfreunden muss, dass sie bis auf Weiteres bleiben, beginnt die nächste wichtige Phase im Leben mit Kindern: Sie werden Mitglied in einem Sportverein. Oder sie beginnen, ein Instrument zu lernen. Beides ist wunderbar für ihre geistige und körperliche Entwicklung – und fordert Eltern, vor allem als Fahrer. Man fährt sie dahin, fährt sie dorthin und tankt täglich frisches Benzin zur Freude aller Tankstellen. Inzwischen bin ich der festen Überzeugung: die Einzigen in der Gesellschaft, die wirklich ein Interesse an Kindern und Familiengründungen haben, sind Mineralölkonzerne. Die Politik behauptet zwar, sie fördere Familien und dass viele Kinder das Licht der Welt erblicken. Aber Kinder, die heute geboren werden, sind erst in 18 Jahren wahlberechtigt, also für gegenwärtige Politiker völlig irrelevant.

 

Dagegen Shell, Total und Konsorten, die haben heute was davon, und zwar so richtig. Wenn jetzt zum Beispiel der Sohn das Rudern für sich entdeckt, ist das toll. Welche Eltern träumen nicht davon, später mit verheulten Augen von RTL interviewt werden, wenn der Sohn im Deutschland-Achter Gold holt? Was aber benötigt man zum Rudern? Genau: einen See, der natürlich kilometerweit weg ist. Zu dem weder Bus noch Bahn fahren. Muss man ihn also hinfahren, zurückfahren, wieder hinfahren, abholen, und das vier- bis achtmal die Woche.

Andere müssen zum Geigenlehrer oder zum Kinderkirchenchor oder zum Turnen.

Bei manchen wird der Motor nicht mehr kalt

Urbane Singles oder kinderlose Pärchen fahren im Smart zum Pilates oder machen Carsharing im Elektroauto. Mit Tanken ist da nicht viel. Dagegen Großfamilien in dicken Vans, die bringen Ölbarone richtig zum Strahlen. Je mehr Kinder, desto mehr Interessen, desto mehr Fahrten: Klavier, Fußball, Trompete, Segeln, Taekwondo, Orchester. Bei manchen wird der Motor gar nicht mehr kalt, andere sind derart oft unterwegs, dass sie ihr Haus längst Aral oder gleich den Emiraten überschrieben haben.

Ich kenne Mütter, die bringen pro Woche mehr Kilometer auf den Tacho als jeder Fernfahrer. Die verbringen ganze Nachmittage „on the road“, und wenn sie mal Päuschen machen, weil Geigenstunde ist, trifft man sie atemlos an der Tankstelle. Neuer Stoff für die nächste Tour. Am Wochenende ist keine Pause, ganz im Gegenteil, da geht es richtig los. Wochenenden sind Wettkampftage und Vorspieltage. Fußballspiele oder Hockeyturniere sind ja grundsätzlich am anderen Ende der Stadt. Und für Orchesterauftritte fährt man regelmäßig eine Wagenladung Blechinstrumente plus Spieler an den Rand der Zivilisation. Dann heißt es wieder: tanken, tanken, tanken. Manche sehen den Tankwart inzwischen öfter als ihren Ehepartner. Da haben sich richtige Co-Abhängigkeiten entwickelt, allerdings mit dramatischen Folgen: Wenn wir mal drei Wochen im Urlaub sind, muss unser Tankwart Kurzarbeit anmelden. Dagegen reiben sie sich am Persischen Golf die Hände, wenn ich mal wieder eine Beitrittserklärung für einen Verein (Basketball?) unterschreibe.