Weihnachten ist vorbei, sollte man meinen – angesichts der Tatsache, dass Ostern vor der Tür steht. Das sieht der Nachwuchs aber so was von anders. Carola Fuchs notiert ihre Beobachtungen.

Stuttgart - Es wird Zeit, dass Ostern wird. „Papa! Baum! Aua!“, diese wortgewaltige Geschichte erzählt unser Sprössling, seitdem wir am 5. Januar unseren Weihnachtsbaum von den bunten Kugeln, Kerzen und sonstigem Klimbim befreit, die Äste abgesägt, das Ganze 87 Stufen hinunter und 324 Meter weiter zur Weihnachtsbaumsammelstelle am Stuttgarter Wilhelmsplatz befördert haben. Das heißt: Papa hat den Baum zersägt! Der Sprössling hat geholfen, das abgewrackte Tannenschmuckstück zu tragen. Zuerst hat der Kleine den Baum an der Spitze angepackt, aber die Nadeln haben das Sensibelchen – Aua! – gepikst. Deshalb trug der 92 Zentimeter große Zwerg den Stamm, sein doppelt so großer Vater mühte sich derweil mit dem vorderen Teil ab.

 

„Papa! Baum! Aua!“ erzählt das Kind jetzt, wenn wir am Wilhelmsplatz vorbeikommen, und wir kommen oft vorbei. Wenn wir irgendwo einen Nadelbaum herumstehen sehen. Wenn wir am x-ten Tag nach dem 5. Januar auf den – erwähnte ich es schon? Es sind 87 – Treppenstufen immer noch Tannennadeln finden. Sohnemann erspäht tagaus, tagein viele Nadeln, obwohl es einen Putzdienst für die Kehrwoche gibt. Ich spare mir an dieser Stelle den Hinweis, dass wir Monat für Monat Geld für eine tannennadelfreie Treppe bezahlen. Viel Geld. Das wäre spießig, kleinbürgerlich, antiliberal, schwäbisch. Zumal uns der nette Putzmann, wenn er mal wieder einen unserer Äpfel aus dem Regal im Treppenhaus verputzt hat, stets lobt: „Ihre Äpfel schmecken lecker!“ Das freut einen als Hausfrau und Mutter. Wurmstichig und mehlig aber soll der nächste Apfel sein, den er uns mopst, wenn sich herausstellt, dass er nach dem Putzen die Tannennadeln wieder auf der Treppe drapiert – weil sich der Kleine immer so freut.

Wir sind die „Rabeneltern des Jahres“

Klären kann das nur eine Videoüberwachung, die die Staatsanwaltschaft bisher aber als unverhältnismäßig ablehnt. Dabei ist der Putzmann nicht der einzige Tatverdächtige. Infrage kommen auch unsere Nachbarn. Die haben uns nämlich bereits einstimmig als „Rabeneltern des Jahres“ nominiert. Der Grund: unser Sohn muss selber Treppen laufen. Alle 87 Stufen. Mit oder ohne Begeisterung und eher mit als ohne Geschrei. Der Ablauf ist stets der gleiche. Mutter und Kind kommen heim. Kind setzt sich auf die untere Treppenstufe. Mutter versucht Kind zum Aufstehen zu bewegen, erst freundlich und sanft, dann weniger freundlich und sanft, dann gar nicht mehr freundlich und sanft. Am Ende stapft die Mutter gänzlich unsanft allein die Treppe hoch, das Kind beginnt zu greinen, und die Dame aus dem Hochparterre, voll des Mitleids, bringt dem armen, süüüßen Butzele Gummibärchen: „Es sind schon viele Stufen, nicht?“ Das Kind nickt und strahlt, es hat schon wieder eine Tannennadel gefunden. „Papa! Baum! Aua!“ , erzählt es. „Er ist ein echtes Papakind, gell?“, sagt die nette Dame. „Man hört den ganzen Tag nur Papa!“

Hört man. Deshalb ist es höchste Zeit für Ostern. Zum neuen Fest lernt der Nachwuchs einen neuen Text: „Mama! Ei! Bumm!“