Aufgelesen im Kreis: Süßes und Saures. Diese Woche kommen zwar wieder die Autofahrer nicht voran, aber dafür die Rathäuser. Herrenberg wirbt ganz subtil für den Umstieg aufs Rad, Böblingen betreibt jetzt Diplomatie.

Böblingen: Kathrin Haasis (kat)

Herrenberg - Herrenberg war schon immer unglaublich innovativ. Aber diese Woche hat die Modellstadt für saubere Luft sich selbst übertroffen: Noch bevor der Umbau der beiden Hauptverkehrsachsen Hindenburgstraße und Seestraße fertig gestellt ist, werden dessen Ziele erreicht. Langfristig sollte damit der Verkehrsfluss besser gesteuert und der Schadstoffausstoß gesenkt werden. Dank der Strategie, beide Baustellen gleichzeitig stattfinden zu lassen, was momentan für erheblich weniger Verkehrsfluss sorgt, fährt jetzt immerhin ein Auto weniger durch Herrenberg. Die städtische Botenmeisterei geht beziehungsweise tritt nämlich neue Wege: Die beiden Herren sind entnervt aufs E-Bike umgestiegen.

 

„Wir haben die Post bisher immer mit dem Auto ausgefahren, doch dann kamen die vielen Baustellen in Herrenberg“, berichtet Peter Nolte über den Entscheidungsprozess. Daraufhin sei ihm die Idee gekommen, doch einfach die städtischen E-Bikes zu nehmen. Den Rathaus-Mitarbeitern stehen immerhin vier Pedelecs für Dienstfahrten zur Verfügung. „Wir sind schneller, und gleichzeitig sind wir jetzt auch noch sportlich unterwegs“, freut sich der Amtsbote über den Umstieg. „Die Fahrradtouren haben also erhebliche Vorteile“, fügt die Stadtverwaltung in der Mitteilung noch werbend an.

Subtile Überzeugungsarbeit für den Umstieg

Die eigentliche Überzeugungsarbeit leistet sie allerdings auf viel subtileren Wegen: Im Alzental herrscht einmal mehr Ausnahmezustand, weil durch das Wohngebiet die Umleitungsstrecke für die Hindenburgstraße führt. Die dortigen Anwohner sind zwar leidgeprüft. Im vergangenen Herbst hat eine Verkehrsberuhigung der Stadt dort schon für genau das Gegenteil gesorgt, weshalb alle neuen Regelungen mehr oder weniger rückgängig gemacht werden mussten. „Wir wussten, dass es die Hölle wird“, erklärte eine Anwohnerin der Lokalzeitung zu der aktuellen Umleitung, „aber es ist noch schlimmer geworden als befürchtet.“ Die Frau muss einiges mitgemacht haben, wenn sie weiß, wie schlimm es im Fegefeuer zugeht. Doch nach ihren Erfahrungen ist es verständlich, dass sie nicht viel Vertrauen in die städtische Verkehrsplanungsfähigkeiten haben kann.

Nach vier Wochen Hölle hat die Verwaltung ihr Konzept modifiziert. Das Ziel lautet wieder, „den Verkehrsfluss zu verbessern“ – und das allein klingt verdächtig. Es besteht aus Einbahnstraßenregelungen, Abbiegeverboten, zusätzlichen Zebrastreifen sowie Straßensperrungen – und wird mit Sicherheit demnächst mit einem Innovationspreis ausgezeichnet. Denn um dem Fegefeuer zu entkommen, bleibt auch allen anderen Herrenbergern wie den beiden Amtsboten nichts anderes übrig, als aufs Pedelec umzusteigen.

Zu einer solch radikalen Verkehrswende ist natürlich nicht jede Kommune in der Lage. Das geht nur in einer Mitmachstadt. In Böblingen – mindestens gleichermaßen von Baustellen und ihren Wirkungen geplagt wie Herrenberg – werden zwar fleißig Radwege angelegt und damit die Grundlagen für den Umstieg aufs Pedelec geschaffen. Aber die Verwaltung sucht gleichzeitig den Dialog. Nachdem Einzelhändler in einem Brief über Schikanen und Schlimmeres geschimpft hatten wegen der vielen Umleitungen und ihrer Unerreichbarkeit, setzte sich der Oberbürgermeister Stefan Belz mit den unzufriedenen Unternehmern zusammen.

Meinungsfreiheit ist von Bedeutung

Es soll „ein intensiver und offener Austausch“ gewesen sein: „Bei dem Termin konnten die anwesenden Gewerbetreibenden ihre Sorgen und Nöte gegenüber der Stadt deutlich formulieren“, heißt es in der Mitteilung aus dem Rathaus. Was genau sie gesagt haben, wird leider nicht verraten. An die Öffentlichkeit kommt nur noch Diplomatie: „Verschiedene Meinungen zu vertreten, ist von Bedeutung, diese müssen abgewogen und im Sinne einer positiven Entwicklung unserer Stadt bewertet und in Entscheidungen einbezogen werden“, lautet das verschwurbelte Schlussstatement von Stefan Belz. Der Aussage schlossen sich übrigens alle Beteiligten problemlos an, obwohl sie so gar nicht innovativ klingt.