Aufgelesen im Kreis: Süßes und Saures. Diese Woche finden die Freien Wähler den Schuldigen aller Staus und zeigen, wie schmutzig Kommunalpolitik ist.

Böblingen: Kathrin Haasis (kat)

Böblingen - Gemeinderatssitzungen können verwirrend sein: „Man soll es nicht zu heiß essen“, setzte Stefan Belz kürzlich in einer solchen Runde beim Thema Masterplan für den Schlossberg an. Damit hat er prinzipiell recht, sonst verbrennt man sich den Mund. Aber dem Oberbürgermeister lag ein anderes Sprichwort auf der Zunge: „Man soll es nicht so heiß kochen, wie gegessen wird“, lautet sein neuer Anlauf. Von der Schongarung bestimmter Vorschläge halten so manche Stadträte allerdings gar nichts: Sie kochen sie vielmehr ziemlich hoch.

 

Die Freien Wähler scheinen die Linksabbieger und Geradeausfahrer aus der Stadtgrabenstraße als Wähler entdeckt zu haben. Schon in der Sitzung verlangten sie einen Probelauf für die geplante geänderte Verkehrsführung am Elbenplatz. Nach dem Vorschlag eines Verkehrsplaners soll aus der Stadtgrabenstraße nur noch das Rechtsabbiegen erlaubt werden. Auf diese Weise bleiben längere Ampelphasen für die Autofahrer auf der Herrenberger Straße und der Wolfgang-Brumme-Allee, um schneller über die Kreuzung am Elbenplatz zu kommen. Jetzt haben die Freien Wähler sogar noch nachgelegt, so sehr misstrauen sie den Rechenkünsten des Experten: Ein Zweitgutachten soll eingeholt werden, beantragten sie.

Anpacken – aber nur mit Handschuhen

Außerdem will die Fraktion überhaupt einen neuen Verkehrsgutachter anheuern. Künftig sollten sie alle zehn Jahre gewechselt werden, der aktuelle ist seit einem Dutzend Jahre für Böblingen tätig. Der Grund sind Zweifel an der reibungslosen und sinnvollen Umsetzung der Pläne, die Freien Wähler befürchten weitere Verkehrsstockungen. So ein Grund kommt kurz vor der Kommunalwahl wie gerufen: Denn endlich ist ein Schuldiger für die ständigen Staus in der Stadt gefunden! Dabei sind die Pläne bereits im November 2017 den Stadträten vorgestellt worden, also noch im Rahmen der Zehnjahresfrist. Und damals rechnete kein Freier Wähler nach. Möglicherweise verrechnen sie sich mit ihrem Antrag für mehr Wählerstimmen: Auf der Stadtgrabenstraße waren bei einer Zählung nur 800 Autos unterwegs, 60 davon bogen links ab.

Dass Kommunalpolitik ein schmutziges Geschäft ist, finden offensichtlich auch die Freien Wähler von Sindelfingen. Anders lässt sich ihr Wahlprogramm nicht interpretieren, höchsten schlimmer. Darauf sind zwei Hände in Handschuhen zu sehen, der eine wird gerade noch kraftvoll übergezogen. „Anpacken statt abwarten“, lautet der Slogan dazu. Der Betrachter muss sich doch folgende Frage stellen: Ist Sindelfingen so schmutzig, dass sich die Stadträte beim bloßen Diskutieren der Themen schützen müssen? Wobei es sich bei den Handschuhen eindeutig nicht um Spül- oder um die so modern gewordenen Hygienehandschuhe handelt. Das Bild sieht eher wie ein Ausschnitt aus einem Tatort-Krimi aus: Der Mörder macht sich bereit, bevor er zur Tat schreitet. Zwar haben die Sindelfinger Freien Wähler noch keinen Verkehrsplaner zum Opfer gemacht, aber auch diese Art von Wahlkampf könnte Spuren hinterlassen.

Sindelfingen hat erstaunliche Fähigkeiten

Zu ihrer Verteidigung muss man sagen, dass die SPD ebenfalls kein wirklich gutes Händchen beim Gestalten ihres Wahlprogramms bewiesen hat. „Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten in Sindelfingen wollen Sindelfingen zuhören und Sindelfingen gestalten“, lautet der den Buchstaben S überstrapazierende Slogan. Damit schreiben sie der Stadt erstaunliche Fähigkeiten zu. Schön für den Böblinger OB wäre, wenn sie ihm das nächste Mal rechtzeitig die richtige Redewendung einflüstern könnten: Nichts wird so heiß gegessen, wie es gekocht wird.