Statt in der Krise zusammenzurücken, sollen die Generationen gerade möglichst viel Abstand halten. Glücklicherweise macht eine Impfung wieder mehr Nähe möglich. Nur eines der positiven Dinge, über die man auch mal sprechen sollte – findet unsere Kolumnistin.

Familie/Bildung/Soziales: Lisa Welzhofer (wel)

Stuttgart - Die Großmutter wurde diese Woche geimpft. Also zum ersten Mal. Mit 94 Jahren ist sie Hochhoch-Risikogruppe. Die ganze Familie hat die Impfung deshalb herbeigesehnt und ist jetzt unheimlich froh.

 

Die Großmutter selbst hat dieser Meilenstein nicht sonderlich interessiert. Sie hatte auch davor keine Angst sich anzustecken. Sie ist keine Corona-Leugnerin, sie ist auch nicht dement, es ist ihr einfach nur egal. „Ich habe so lange gelebt, wenn ich jetzt sterbe, ist es nicht schlimm“, sagt sie. Ich finde, nach fast einem Jahrhundert Leben darf man so fatalistisch sein.

Das schlechte Gewissen kam mit

Wir haben deshalb auch nie aufgehört, sie zu besuchen. Weniger oft zwar und so gut es ging mit Abstand und vorheriger Isolation. Aber ein Restrisiko trugen wir natürlich immer in ihre Wohnung mit hinein – und ein schlechtes Gewissen auch. Aber der Großmutter war es wichtiger, ihre Tochter, Enkelin und die Urenkel zu sehen, als zwar geschützt, aber eben allein zu sein.

Wenn es gerade heißt, dass Familien es schwer haben, dann geht es meist um geschlossene Schulen und Kitas, um Kinder ohne Spielkameraden und Eltern am Rande des Nervenzusammenbruchs. Dabei haben Familien noch ein ganz anderes Problem: Anstatt in der Krise zusammenzurücken, sollen sich die Generationen aus dem Weg gehen. Am Ende seines Lebens allein zu sein, ist die Angst vieler Menschen. Corona macht jetzt oft auch die Alten einsam, die es gar nicht sein müssten. Es ist eines der besten Dinge an den Impfungen, dass sie Nähe wieder möglich machen. Die ja auch irgendwie überlebenswichtig ist.

Der junge Kollege ist voller Tatendrang

Vielleicht sollte man sich sowieso ein bisschen mehr auf die guten Dinge konzentrieren, die jetzt passieren. Ich darf das sagen, ich bin normalerweise die größte Pessimistin überhaupt. Kürzlich habe ich mich mit einem jungen Kollegen, der Stuttgart verlässt, zu einem Abschieds-Spaziergang getroffen. Er war voller Tatendrang, er will bald nach China ziehen.

Und als ich so vor mich hin jammerte, wie schlimm alles sei und überhaupt, da sagte er, wie großartig er es findet, dass es überhaupt schon Impfstoffe gibt, was für ein Beweis menschlicher Intelligenz und Problemlösekraft das ist. „Das hätte vor einem Jahr doch keiner für möglich gehalten“, sagte er und hatte mit seiner jugendlichen Begeisterungsfähigkeit natürlich Recht.

Die Eisdiele macht bald wieder auf

Was gibt es also noch Gutes zu berichten? Der Sohn (7) geht ab Montag wieder zur Schule – zwar nur drei Vormittag innerhalb von zwei Wochen, aber immerhin. Die Tochter (4) kann wieder alle ihre Freundinnen und Freunde in der Kita sehen. Die Landesregierung stellt in Aussicht, Läden wieder langsam zu öffnen. Und von draußen zwitschern die Vögel zu mir ins Homeoffice herein. Der Frühling kommt bald und die tolle Eisdiele um die Ecke macht wieder auf (also hoffentlich!). Ach ja, für die regelmäßigen Kolumnen-Leserinnen unter Ihnen: Wir haben jetzt doch noch eine Katze gefunden!

Jaja, ich weiß, die Mutanten sind unterwegs, der Weg zur Herdenimmunität ist noch lang, vielleicht ist bald schon wieder alles zu und die dritte Welle schwappt über uns zusammen. Aber irgendwie muss man ja die Tage überstehen, da hilft es manchmal, sich einfach nur auf den nächsten zu konzentrieren. Auf Sicht fahren nennen das die Politiker in der Krise so schön.

In diesem Sinne: Machen Sie’s gut. Man sieht sich in der Eisdielenschlange, auf dem Spielplatz oder anderswo. Und wenn Sie jemanden mit einer unsterblichen 94-jährigen Dame am Arm sehen: Das bin ich!

Lesen Sie hier alle Teile der Kolumne Mensch, Mutter.

Lisa Welzhofer ist Autorin der Stuttgarter Nachrichten und Mutter zweier Kinder. Drei Jahre lang hat sie sich an dieser Stelle – im Wechsel mit ihrem „Kindskopf“-Kollegen Michael Setzer – Gedanken übers Elternsein, über Kinder, Kessel und mehr gemacht. Mit diesem Teil endet ihre Kolumne.