Ihr Sohn kommt zwar erst 2020 in die erste Klasse, aber unsere Kolumnistin hat jetzt schon ein mulmiges Gefühl und fragt sich: Wann ist Schule eigentlich so kompliziert geworden?

Familie/Bildung/Soziales: Lisa Welzhofer (wel)

Stuttgart - Mein Sohn wird erst 2020 eingeschult, aber ich habe jetzt schon Angst. Denn nach allem, was ich höre, ist Schule heute etwas sehr Kompliziertes geworden.

 

Kürzlich zum Beispiel stand ich mit zwei anderen Müttern auf dem Tobler-Spielplatz und unterhielt mich über die Grundschulen in unserem Stadtteil. Der Tobler liegt im Herzen des Stuttgarter Ostens, in der Nähe des Ostendplatzes, nicht weit von diversen Kitas entfernt, weshalb hier zu Stoßzeiten immer sehr viele Kinder sehr unterschiedlicher Nationalitäten und Schichten durcheinander rennen. Eine Mischung für die ich nicht nur den Tobler so mag, sondern den ganzen Osten. Wir drei Mütter standen also da, während um uns herum das Leben tobte, und unterhielten uns darüber, auf welche Grundschule unsere Kinder laut Schulamt mal gehen müssten – und auf welche sie unserer Meinung nach gehen sollten.

Alle wollen auf die Schule in Halbhöhenlage

In unserer Nähe gibt es fünf Grundschulen. Jede hat ihren Ruf, wobei es immer ein bisschen darauf ankommt, wen man gerade fragt: Die eine gilt als Brennpunktschule, aber nur in den höheren Klassen. Die andere hat angeblich ein gutes pädagogisches Konzept, aber einen schlechten Hort. Bei der nächsten ist es genau andersrum. Jene hat wohl gute Lehrer und schlechte Schüler. Manche haben flexible, andere eher unflexible Betreuungszeiten. Und dann gibt es die Grundschule in Halbhöhenlage. Die finden alle gut. Da wollen alle Akademikereltern mit ihren Kindern hin, die ich kenne.

Ich weiß, dass man sich die Grundschule eigentlich nicht aussuchen kann. Aber ich weiß auch, dass um mich herum trotzdem munter umgeschult wird. Kürzlich war ein Lehrer von der beliebten Grundschule bei einer Infoveranstaltung der Kita und sagte, dass sie mittlerweile so viele Umschulungsanträge hätten – also Anträge von Eltern, deren Kinder eigentlich einer anderen Grundschule zugeordnet sind –, dass sie gar nicht mehr alle aufnehmen könnten.

Soziale Trennung ab Klasse 1

Wir drei Mütter auf dem Spielplatz waren uns einig, dass das eigentlich keine gute Entwicklung ist. Dass so Akademikerkinderghettos entstehen, eine soziale Trennung ab Klasse 1, wodurch die guten Schulen immer stärker werden und die nicht so guten immer schwächer. Zur Chancengleichheit trägt so eine Entwicklung auf jeden Fall nicht wirklich bei. Und mit dem Tobler-Spielplatz-Gefüge, das ich so mag, hat das auch nichts mehr zu tun. Trotzdem – so schien es mir – wären wir alle drei froh, wenn wir im Einzugsgebiet der Halbhöhen-Grundschule liegen würden.

Wenn es um ihre Kinder geht, dann seien die Eltern aus der gehobenen Mittelschicht mittlerweile von Angst getrieben. Das hat der kluge Erziehungsberater und Kinderarzt Herbert Renz-Polster mal im Interview zu mir gesagt. Von der Angst vor dem sozialen Abstieg, dass es ihre Kinder mal nicht noch besser haben werden als sie. Deshalb der Förderwahn schon im Säuglingsalter. Deshalb der Run auf die vermeintlich besten Schulen. Deshalb sei der „Geschäftszweck“ der Kindheit heute, sich für „den Beruf warmzulaufen“, so Renz-Polster.

Grundschüler mit Depressionen

Ich weiß nicht, ob es tatsächlich die Angst vor dem Abstieg ist, die mir beim Thema Schule ein mulmiges Gefühl bereitet. Vielleicht liegt es auch daran, dass ich nur noch Negatives über Schule höre. Zum Beispiel über Eltern, die ab Klasse 1 mitlernen und -helfen müssen, so viel ist der Stoff. Ich höre von zu vielen Unterrichtsausfällen und Familien, die sich überlegen, deshalb zu klagen. Ich höre von zu wenig Personal für die Nachmittagsbetreuung, Grundschülern mit Depressionen, fehlenden Konzepten für den Umstieg auf die Ganztagsschule. Von überforderten Inklusionslehrern, veralteter Technik und davon, dass alle nur noch aufs Gymnasium wollen. Von G9 und G8 und davon, dass Kinder schreiben dürfen, wie sie wollen, und dann doch wieder nicht.

Ich frage mich, wann Schule so problembeladen und kompliziert geworden ist. Ich bin in einer Kleinstadt aufgewachsen. Ich bin in die Grundschule gegangen, die es eben gab, und das gern. Und vor allem hatte ich nie Angst davor. Heute bin ich eine Mutter mit Schulangst und die allergrößte Angst ist vielleicht, dass mein Kind das mitbekommt.

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Die Autorin Lisa Welzhofer ist Mutter zweier Kinder und lebt in Stuttgart. In ihrer Kolumne macht sie sich regelmäßig Gedanken über Kinder, Kessel und mehr.