Kolumne Mensch, Mutter Tagebucheintrag einer Mutter in Coronazeiten

Wie so ein Tag daheim gerade abläuft, das kann man eigentlich nur seinem Tagebuch erzählen, findet unsere Kolumnistin.
Stuttgart, den 25. April 2020 - Liebes Tagebuch,
heute war wieder so ein typischer Coronatag. Morgens ist der Sohn schon mit schlechter Laune aufgestanden. Er hat sich aufs Sofa gesetzt und gesagt: „Ich vermisse David. Ich will mit ihm Fußball spielen.“ Bislang hat er eigentlich nicht oft über die Kita und seine Freunde gesprochen. Aber seit ein paar Tagen höre ich solche Sätze immer wieder. Ich glaube, er hat Angst, dass er nicht mehr in die Kita gehen darf, bevor er im Herbst in die Schule kommt.
Während ihr Bruder (6) grummelig auf dem Sofa saß, hat sich seine kleine Schwester (3) an den Tisch gesetzt und ununterbrochen geschrien. Sie war sehr wütend, weil sie keine Schokolade zum Frühstück bekommen hat.
Ich weiß nicht, ob sie einen Entwicklungsschub macht. Oder ob das so eine Art Coronakoller ist. Sie ist jetzt noch trotziger als sonst. Aber sie ist plötzlich auch sehr anhänglich. Ich darf nicht mal allein aufs Klo gehen. Und wenn der Mann und ich mittags Schichtwechsel bei der Kinderbetreuung machen, bekommt sie einen Wutanfall. Ich hoffe, das bleibt nicht so, wenn die Kita irgendwann wieder anfängt.
Die Tochter versucht, ein Stäbchen in mein Ohr zu bohren
Nach dem Frühstück ist immer Alleinspielzeit. Die Kinder sollen sich dann selbst beschäftigen. Eigentlich bin ich morgens mit Kinderbetreuung dran, der Mann nachmittags. Abends arbeiten wir nach, was wir tagsüber nicht schaffen. Und trotzdem hinke ich ständig mit dem, was ich eigentlich machen sollte, hinterher. Deshalb musste ich heute morgen dringend ein paar Mails versenden.
Zuerst haben die Kinder schön zusammen Polizei-Einsatz gespielt. Dann war es auf einmal sehr still und ich habe Gekicher gehört. Dann kamen die Kinder in unser Schlafzimmer und sind auf dem Bett herumgehüpft, neben dem ich Homeoffice mache. Dabei waren sie nackt. Dann ist die Tochter ins Bad, hat ein Wattestäbchen geholt und versucht, es mir ins Ohr zu bohren. Mails habe ich dann keine mehr geschrieben.
Mittags habe ich Spaghetti Bolognese gekocht. Ich war ein bisschen stolz auf mich, weil ich die Soße selbst gemacht habe, also auch mit so kleinen gedünsteten Gemüsewürfeln drin. Sonst gibt es oft Auftaupizza oder Fischstäbchen mit Reis. Auf Instagram sehe ich Mütter, die unter #wirbleibenzuhause selber Maultaschen rollen oder Eier pochieren. Oder auch ihre Wände mit neuer Farbe anstreichen. Das setzt mich ein bisschen unter Druck. Ich frage mich, wann die Zeit dafür haben. Na ja, vielleicht hätte ich auch Zeit dafür. Aber ich hab einfach keine Nerven dafür.
Der Kita-Koch macht’s besser als ich
Jedenfalls ist der Sohn an den Tisch gekommen und hat als erstes „Igitt!“ gerufen. Und dann: „Beim Max in der Kita schmeckt das viel besser!“ Der Max ist der Kita-Koch. Die Tochter wollte sowieso keine Soße. Sie isst immer nur Nudeln ohne alles. Ich habe mir dann überlegt, ob es zu früh für ein Glas Wein ist.
Nach dem Mittagessen haben die Kinder eine Stunde ferngesehen. Sie dürfen jetzt doppelt so viel fernsehen wie sonst. Schon morgens fragen sie, wann sie endlich die Sendung mit der Maus gucken dürfen. Wahrscheinlich wird die Maus das einzige sein, was sie von der Zeit daheim vermissen, wenn die Kita wieder aufmacht.
Nachmittags konnte ich an meinem Schlafzimmer-Schreibtisch arbeiten. Die Tochter ist nur einmal schreiend ins Zimmer gekommen und der Mann musste sie mit Gewalt von mir losreißen. Das war schon besser als am Tag zuvor. Da bekam ich einen wichtigen Anruf von der Arbeit und die Kleine hat im Hintergrund „Ich muss Pipi!!!!!!!“ geschrien.
Die Nachbarn haben über den Zaun geguckt
Später haben der Papa und die Kinder dann eine Matschecke im Garten ausgehoben, weil es so eine auch in der Kita gibt und der Sohn neidisch auf das Kind in der Notbetreuung ist, das die momentan allein benutzen darf. Die Kinder haben sich sehr lang, sehr schön mit dem Matsch beschäftigt. Zuerst haben sie sich selbst damit am ganzen Körper eingerieben, dann die Gartenliegen und dann haben sie kleine Matschstückchen überall herumgeschossen. Zwischendurch sind sie immer mal wieder ins Haus gerannt.
Als ich sie dann abends mit dem Gartenschlauch abgeduscht habe, haben sie wie am Spieß gebrüllt, weil das Wasser so kalt war. „Bitte, Mama, nein!“, hat die Dreijährige geschrien. Die Nachbarn haben über den Zaun geguckt.
Als die Kinder im Bett waren, habe ich mich mit einer Freundin getroffen. Wir saßen auf den Treppenstufen einer verrammelten Stuttgarter Kirche. Wir hatten Mundschutz an und haben zwei Meter Abstand gehalten. Ich bekomme unter dem Mundschutz immer Beklemmungen. Die Freundin hatte eine Weinflasche dabei. Wir haben sie fast ausgetrunken. (Ohne Mundschutz natürlich.) Das tat gut.
Viele Grüße,
Deine Lisa
Lesen Sie hier mehr aus der Kolumne „Mensch, Mutter“.
Lisa Welzhofer ist Autorin der Stuttgarter Nachrichten und Mutter zweier Kinder. In ihrer Kolumne macht sie sich regelmäßig Gedanken übers Elternsein, über Kinder, Kessel und mehr. Sie schreibt im Wechsel mit ihrem Kollegen Michael Setzer, der als „Kindskopf“ von seinem Leben zwischen Metal-Musik und Vatersein erzählt.
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