Mit dem Sieg der Deutschen gegen die Italiener wurde ein jahrelanges Trauma überwunden. Auch ein ganz persönliches, findet unsere Italien-Korrespondentin Almut Siefert.

Rom - Es gibt sie. Diese Melodien. Wenn sie erklingen, ist das Gefühl wieder da, das sich beim ersten Hören ins Bewusstsein eingebrannt hat. „Seven Nations Army“ ist so eine Melodie. Die White Stripes können nichts dafür. Der Song ist gut, sorgt in manchem Club noch heute für Stimmung. Aber eben nicht nur dort. Für italienische Fußballfans sind die Anfangstakte der „Seven Nations Army“ zur Hymne geworden. Stehen die Azzuri kurz davor, etwas zu reißen, erklingen die Gesänge auf den Piazzas. Und haben sie Erfolg, hallt der Rhythmus noch wochen – nein monatelang durch die Straßen.

 

Wie 2006. Das Sommermärchen war gerade zu einem Sommerloch geworden. Die Italiener hatten die Deutschen bei der Weltmeisterschaft im eigenen Land im Halbfinale mit 0:2 nach Verlängerung rausgekegelt – und sich dann auch noch den Titel geholt. Genau der richtige Moment, um nach Italien zu ziehen. Eigentlich nicht, aber das Erasmus-Semester in Florenz war schon geplant. Im Glauben, die Euphorie habe sich bis Herbst wieder gelegt, schlug ich noch großmütig das Angebot meiner Schwester aus, mich mit einem T-Shirt mit dem Spruch „Meglio terzi che spioni“ (Lieber Dritter als Petze) auszustatten. Ein Fehler. Mitte September war gar nichts verflogen. Meine Mitbewohner – alles Italiener – begrüßten mich einfühlsam mit dem Schlachtruf: „Campiooooone del Mondoooo“ (Weeeeeeltmeister). Auf den Ruf folgte das Unvermeidbare: Die Klänge von „Seven Nations Army“.

Das Elfmeterschießen in römischer Gesellschaft

Es gibt sie. Diese Momente. Da wird ein eingebranntes Gefühl durch ein neues ersetzt. Der Samstagabend kurz vor Mitternacht ist so ein Moment. Das Elfmeterschießen im EM-Viertelfinale zwischen Deutschland und Italien wird zur Nervenschlacht. Nicht nur für die Spieler auf dem Feld: Auch am Tiberufer, nur einem von vielen Plätzen in Rom, auf denen die Menschen zum historischen Spiel ihrer Azzuri zusammen kamen, liegen die Nerven nun blank. Nicht nur wegen des Spiels, scheint es. Schließlich sitzt da dieses Grüppchen Menschen, das sich zwar angestrengt zurückhält mit Jubel- oder Enttäuschungsbekundungen – aber dennoch eindeutig dem deutschen Fanlager zuzuordnen ist. Vielleicht ertönt deshalb, als sich die Spieler zum Elfmeterschießen bereit machen, die so gehasste Hymne besonders laut und eindringlich.

18 Elfmeter später herrscht Stille. Was selten ist in dieser Stadt. Jonas Hector hat gerade den Ball zum entscheidenden 6:5 ins Tor genagelt. Dieses Viertelfinale wird in die Geschichte eingehen, heißt es. Als Ende eines Traumas. Für meinen Geschmack, sind das etwas zu hochtrabende Formulierungen. Während ich diese Zeilen schreibe, läuft im Hintergrund übrigens mein neues Lieblingslied.

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