Sie sind Klick-Millionäre und haben in Stuttgart gefeiert: Bei Instagram und Co. folgen ihnen über eine Million Abonnenten. Neudeutsch nennt man ihren Beruf Influencer. Unser Kolumnist wollte wissen: Wie wird man’s?

Stadtleben/Stadtkultur: Uwe Bogen (ubo)

Stuttgart - Es ist nicht schwer, sich über Influencer lustig zu machen – aber einer zu werden schon. Auf der Internetseite der Bundesagentur für Arbeit steht im Verzeichnis aller Berufe dieser Trendjob noch nicht. Auch über Ausbildungsprogramme ist bisher nichts bekannt.

 

Nichts mit Influenza hat’s zu tun. Influencer üben Einfluss aus, wie das englische Wort für die Berufsbezeichnung besagt. Der Aufbau und die Pflege einer Community bei Instagram, Facebook oder Youtube kann knallharte Arbeit sein. Obendrein sind Influencer den Vorwürfen ausgesetzt, sie würden Follower kaufen und keine Grenze zwischen eigener Meinung und bezahlter Schleichwerbung ziehen. Laut Branchendienst Media.de kann ein Influencer, bei dem’s läuft, mit nur einem Posting 100 000 Euro verdienen. Nicht schlecht. Doch wie wird man Influencer? Mit enormem Ehrgeiz!

Kollegah setzt auf Tabubrüche

Unweit des Österreichischen Platzes haben sich kürzlich in einem neuen Laden für Fitness-Bedarf Millionäre getroffen – junge Kerle, die in sozialen Netzwerken eine Million oder mehr Abonnenten haben, also mehr Abonnenten als die „FAZ“. Zur Berufsvoraussetzung scheint zu gehören, selbstverliebt zu sein.

Der Gangsta-Rapper Kollegah – er hat anderthalb Millionen Follower bei Instagram – schneite als Überraschungsgast herein. Sein Auftritt bei der Echo-Verleihung im April mit menschenverachtender Rhetorik war ekelhaft. Seine Fans haben ihm verziehen, sofern sie jemals überhaupt so verärgert waren wie die überwiegende Mehrheit der Deutschen. Einer, der gegen das Establishment aufbegehrt und provoziert, kommt bei jungen Leuten an. Kollegah hat bewiesen, dass er ein echter Influencer ist. Der Mann hat so viel Einfluss, dass seinetwegen der gesamte Musikpreis Echo abgeschafft worden ist.

Junge Menschen brauchen Vorbilder

Kollegah, ein studierter Jurist mit bürgerlichem Namen Felix Blume, setzt auf geplante Grenzüberschreitungen, Provokationen und Tabubrüche, um sie als Marketingstrategie zu nutzen. In Stuttgart bei seinen Influencer-Kollegen und Kumpels Tim Gabel und Nico Lazaridis alias Inscope 21 hat der 34-Jährige zugegeben, dass der Eklat bei Echo „kalkuliert“ gewesen sei. Will er damit erreichen, dass seine üblen Worte dann nicht mehr so übel sind? Es fiel auf, wie seine Fans ihn verteidigen, sich zwar von antisemitischen und homophoben Aussagen distanzieren, aber gleichzeitig betonen, Kollegah meine doch gar nicht, was er sagt.

Junge Kerle, oft gerade der Pubertät entwachsen, brauchen Vorbilder, an denen sie sich orientieren. Warum sie Tim Gabel so gut finden, den 23-jährigen Stuttgarter, der mit Fitness- und Ernährungstipps im Netz ein Millionenpublikum erreicht? „Der Tim ist sehr sympathisch“, hörte man so oder ähnlich als Antwort immer wieder, „er ist nicht abgehoben, sondern spricht klar und direkt.“

Die Influencer tragen wieder Socken in den Sneakers

Was aber hat ein „Saubermann“ wie Tim Gabel, der keinen Tropfen Alkohol trinkt, von einem Bösewicht und Buhmann wie Kollegah? Vielleicht will Tim nicht zu brav erscheinen. Sein Einfluss ist enorm. Wenn Gabel sagt, welches Eiweißpulver zum Muskelaufbau am besten ist, tragen seine Follower die Dinger säckeweise aus dem Laden. Einer in der Menge warnt: „Ich hab’ davon Durchfall bekommen.“ Die anderen bremst das nicht.

Influencer sagen, wo’s langgeht. Tim Gabel und Inscope 21 trugen bei der Eröffnungsfeier Socken in ihren Sneakers. Goodbye, knöchelfreie Zeiten! Das Flanking ist damit out. Influencer sind Menschen, die selbst Banalitäten ihres Lebens öffentlich machen. Früher wollten Kinder Lokführer werden – heute Influencer.