Sollten Anekdoten lieber wahr oder gut sein? Unser Kolumnist Uwe Bogen befasst sich mit der hohen Kunst des Erzählens. EU-Kommissar Günther Oettinger hat beim Anekdoten-Wettkampf zum 70. Geburtstag von Rezzo Schlauch in Stuttgart sogar verraten, warum er so schlecht Englisch spricht.

Stadtleben/Stadtkultur: Uwe Bogen (ubo)

Stuttgart - Früher waren Anekdoten einfach nur Klatsch und Tratsch. Längst aber haben sie es zur politischen Bedeutung gebracht. Eine gute Anekdote erklärt den Charakter eines Politikers meist besser als dessen Parteiprogramm. Und sie entlarvt, dass es selbst bei denen da oben menschelt.

 

EU-Kommissar Günther Oettinger menschelt, wenn er Englisch spricht. „In my homeland Baden-Württemberg we are all sitting in one boat“, sagt er dann. Bei diesem rudimentären Englisch liegt der Verdacht nahe, dass er im falschen Boot saß. In diesem Boot saß jedenfalls auch Roland Baisch, der kürzlich sehr spitzfindig die Knallerparty zum 70. Geburtstag von Rezzo Schlauch in der Kulturinsel Cannstatt vor 400 Gästen, vor vielen Männerfreunden, moderiert hat.

Erinnerungen an die Schulzeit in Korntal

Sprachforscher, die herausfinden wollen, warum ein alles vernuschelnder Europapolitiker schlechter Englisch spricht als ein Kind im Vorschulalter, müssen die Gründe dafür in Korntal-Münchingen suchen. Roland Baisch und Günther Oettinger, beide sind Jahrgang 1953, hatten dort auf demselben Gymnasium denselben Englischlehrer.

Von Baisch mit Vergangenheitsbewältigung angesteckt, ließ der EU-Kommissar überraschend tief in sein Inneres blicken. Demnach waren in Korntal die Lehrpläne nicht auf europäische Karrieren ausgerichtet. „Ich hab’ neun Jahre Latein gelernt, fünf Jahre Französisch und drei Jahre Englisch“, verriet Oettinger.

Bei Schlauchs Geburtstagsparty, über die alle, die dabei waren, noch jahrelang reden werden, wenn sie erst mal mit dem Feiern fertig sind (die Letzten sollen sich in der Cannstatter Kulturinsel immer noch gegenseitig Anekdoten erzählen), war sogar zu erfahren, dass es Oettinger einst auf Baischs Freundin abgesehen hatte. Einer der Freunde des CDU-Politikers wunderte sich nicht: „Günther war hinter allen Mädels her.“ Wenn die Anekdote stimmt, die bei dem Fest die Runde machte, ist Oettingers Abwerbversuch nicht gelungen. Baischs Freundin wollte ihn nicht. Aber sie wollte auch Baisch nicht mehr lang. Am Ende hat ein lachender Dritter bei ihr das Rennen gemacht.

„Bei Events steht Kuhn nie im Weg“

Je älter die Menschen sind, desto blumiger werden Anekdoten. Der Wahrheitsgehalt kann dann kaum noch überprüft werden. Na und? Falsche oder wahre Anekdoten gibt es nicht – sondern nur gute oder schlechte. Bei der Feier des Grünen-Opas Rezzo gab es viele sehr gute Anekdoten – vor allem von OB Fritz Kuhn.

Der Rathauschef ist nicht für eine besondere Partylaune bekannt, was Baisch positiv bewertet: „Bei Events steht Kuhn nie im Weg.“ Ob bei Musicalpremieren oder Dinner-Shows – nie ist er dabei. Aber beim 70. Geburtstag seines Kumpels, zu dessen 40. , 50. und 60. Geburtstag er bereits Reden hielt, war der OB so in Feierstimmung, dass er ein Feuerwerk an Anekdoten zündete aus Zeiten, als man die beiden Asterix und Obelix nannte.

Die Putzfrau lag in Schlauchs Bett

Der Kleinere erzählte, wie der Dickere ihm einen Schlafplatz anbot, als es so spät war, dass Kuhn nicht mehr nach Hause fahren wollte. Neben Rezzos Bett stand ein Fahrrad. Den Schlaf konnte Asterix vergessen, weil Obelix so laut schnarchte. Schlauchs Putzfrau ruhte umso besser. Als der Hausherr verfrüht nach Hause kam, fand er sie schlafend in seinem Bett. „Jeder andere hätte sie entlassen“, sagte Kuhn, „der Rezzo nicht!“

Anekdoten, Anekdoten! Die besten sind nicht zu lang und enden mit einer Pointe. Sie charakterisieren einen Menschen so gut, dass er mitlacht und nix korrigiert. Mit Anekdoten ist es wie mit Klischees. Ein bisschen Wahrheit steckt oft drin. Wahr ist auf jeden Fall die Erkenntnis, mit der Winfried Kretschmann den Jubilar Schlauch getröstet hat: „70 ist näher dran an der 50 als an der 100.“

Wenn’s menschelt, sind wir alle gleich.