Wer wie unsere Kolumnistin auf seinen Stammplatz pocht, macht sich leicht zum Gespött. Dabei haben verlässliche Abläufe im Alltag ihre Vorzüge.

Kultur: Adrienne Braun (adr)

Stuttgart - Es ist doch immer wieder schön, wenn man andere Menschen erheitern kann. Als ich dieser Tage in einer munteren Runde bekannte, dass ich im Sportkurs gern am gleichen Platz stehe, haben sich die anderen ausgeschüttet vor Lachen. „Typisch deutsch“, sagten sie prustend, „da kannste ja mit deinem verschwitzen Handtuch reservieren!“ Sie blühten förmlich auf. Sie lachten von ganz weit oben auf mich runter, während ich dastand wie ein begossener Pudel. Wie ein depperter Dackel, der seine Duftmarken setzt. Wie ein Affe, der sein Revier markiert.

 

Als würden sie sich ständig neu erfinden! Als würden sie den Scheitel mal links, mal rechts tragen. Sich falsch herum ins Bett legen. Die Butter auf die Wurst schmieren. Oder die Plätze am Esstisch wechseln wie bei der Reise nach Jerusalem.

Einmal im Jahr Sex

Ich hatte mal Nachbarn, deren Leben komplett durchgetaktet war. Samstag um 9 Uhr: Kehrwoche. 9.30 Uhr: Saugen. 10 Uhr: Wäsche aufhängen, links ihre Unterhemden, rechts seine Unterhosen. Um 14 Uhr verließ er das Haus mit seinem Modellflugzeug. Und einmal im Jahr, exakt in der Silvesterwoche, hatten die Eheleute unüberhörbar Sex. Aber auch nur da.

Wir wissen nicht, ob besagtes Paar bei diesem jährlichen Großereignis ein Fläschchen Sekt köpft. Ich weiß nur, dass ich bei meinem Lieblingsthailänder immer die Nummer 97 bestelle. Und beim Italiener Spaghetti mit Tomatensoße. „Kannst du denn nicht mal was anderes nehmen?“, murrte eine Freundin kürzlich. Sie isst zwar auch jedes Mal Pizza, erklärte mir aber, dass „ein gelegentlicher Perspektivwechsel“ nicht schade.

Übrigens sitzt bei Paaren der Mann nicht nur grundsätzlich am Steuer, sondern auch sonst geht, steht und sitzt er immer links von der Frau. Beim Frühstück, im Bus, beim Spaziergang: er links, sie rechts.

Woher ich das denn wisse, wollte die Freundin wissen. Ganz einfach: Weil ich meine Lieblingsplätze habe. Wissenschaftler haben bewiesen, dass Stammplätze nichts mit äffischem Verhalten zu tun haben, sondern eine Geisteshaltung spiegeln. Und während andere sich ständig neu erfinden müssen, stehe ich im Sport am liebsten hinten an der Seite. Das ist der Lieblingsplatz des Analytikers, sagen die Experten. Vom Eckplatz aus habe man alles im Blick – und kriegt auch genau mit, wenn andere lustlos auf ihrer Pizza rumkauen und reumütig murmeln „ich hätte auch mal lieber die Spaghetti genommen“.