Seit September 2015 ist Jörg Baberowski, Professor an der Berliner Humboldt-Universität, übler Nachrede ausgesetzt. Meinungspolizisten machen Jagd auf den Historiker. Unser Autor Götz Aly hält dagegen.
Stuttgart - Jörg Baberowski lehrt seit 2002 osteuropäische Geschichte an der Berliner Humboldt-Universität. Er veröffentlichte hervorragende Arbeiten zum Stalinismus und zu den Logiken der Gewalt. Anders als die Riege derer, die in der Moderne nur Fortschritt erblickt, sieht er darin auch eine Ursache für Großgruppenhass. Baberowski steht für gediegene Empirie, meidet inhaltsarme Diskursakrobatik und pflegt eine klare Sprache. Im Gegensatz zu vielen seiner Kollegen vergisst er nicht, was seine Standesbezeichnung „Professor“ bedeutet: Bekenner. Gedankenfreudig nimmt er sich heraus, die von ihm schon einmal analysierten historischen Gewalttaten aus einem anderen Blickwinkel zu untersuchen und so zu ergänzenden Ergebnissen zu gelangen.
Doch seit September 2015 ist Baberowski übler Nachrede ausgesetzt, Ehrabschneiderei, gezielter, neuerdings zum Rufmord gesteigerter Denunziation. Erst wurde aus dem streitbaren der „umstrittene“ Professor. Dann fragte der Berliner „Tagesspiegel“ unter der Überschrift „Der Professor als wütender Bürger“ rhetorisch: „Was ist dran am Vorwurf, er sei rechtsradikal?“ Und antwortete: „Baberowski bedient rechtspopulistische Denkfiguren – ob er das nun beabsichtigt oder nicht.“ In der „Frankfurter Rundschau“ erfand der schneidige und weltanschauungsstarke Bremer Juraprofessor Andreas Fischer-Lescano: Bei Baberowski würden tagespolitische Statements und wissenschaftliche Arbeiten „zu einem Amalgam rechtsradikaler Kritik verschmelzen, das durchsetzt ist von geschichtsrevisionistischen und nationalistischen Motiven“. Deshalb fordert dieser Repräsentant des postfaktischen Zeitalters vom Präsidium der Humboldt-Universität, ihrem Professor die öffentliche Unterstützung zu entziehen, weil sie sich andernfalls zur „Komplizin rechter Wissenschaft“ mache. Kritik- und distanzlos druckte der „Tagesspiegel“ am 12. Juni 2017 eine Zusammenfassung dieses denunziatorischen Textes.
Ein Kritiker der Flüchtlingspolitik
Ich teile nicht jede Ansicht Baberowskis, wer aber auf Diskussions- und Wissenschaftsfreiheit Wert legt, muss derartige Angriffe zurückweisen. Es kommt nicht infrage, dass sich chronische Rechthaber wie Fischer-Lescano als Meinungspolizei etablieren.
Jörg Baberowski hat im September 2015 die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung in einer Weise kritisiert, die heute (oft nur stillschweigender) Konsens ist: Einwanderungspolitik nicht mit Asylpolitik vermischen, zu viele Flüchtlinge überfordern die deutsche Gesellschaft usw. Als Forscher sieht Baberowski Leo Trotzki nicht allein als Opfer Stalins, sondern als maßgeblichen Mitverantwortlichen des bolschewistischen Terrors. Das wirft ihm ein trotzkistisches Splittergrüppchen vor, das die Jagd auf ihn seit zwei Jahren anführt. All das kann man im Internet leicht nachlesen. Wen Baberowskis Entgegnungen interessieren, findet sie in der „Neuen Zürcher Zeitung“ vom 22. 5. 2017 im Netz mittels der Stichwörter „Baberowski“ und „NZZ“. Derweil arbeitet der Forscher an einem Werk über die Ära Chruschtschow, in dem er fragt, wie Gesellschaften, die von unsäglicher Massengewalt, Kriegen und innerem Terror vielfach traumatisiert wurden, den langen Weg zurück in ein verträgliches und menschenfreundliches Miteinander finden können. Auf dieses Buch bin ich sehr gespannt.
Vorschau
An dieser Stelle schreibt in der kommenden Woche unsere Kolumnistin Katja Bauer.