Altdeutscher Rassengeist und Fremdenfeindlichkeit sind Vergangenheit. Deutschland stellt sich der Herausforderung durch die vielen Hilfesuchenden, meint unser Autor Götz Aly.
Berlin - Sieht man von gewissen sächsischen Erscheinungen ab, dann fällt in Deutschland angenehm auf, wie sehr nationale Engherzigkeit neuer Weltoffenheit gewichen ist. Wer das nicht glaubt, vergegenwärtige sich ein Plakat, mit dem die NSDAP 1934 für ihre Art von Ausländerpolitik warb. Es zeigt, wie eine 13-köpfige, teils bärtige, generell hakennasige und ärmliche Sippschaft von Osten her in eine schwarz ausgemalte deutsche Landkarte eindringt. Der alarmistische Text lautet: „Täglich 13 Juden!“ So viele seien von 1910 bis 1925 Tag für Tag nach Deutschland „eingeströmt“. Eine Schreckenszahl! Täglich dreizehn Zuwanderer, die andersartige Gebräuche und religiöse Riten pflegten!
Gegen diese Bedrohung zähflüssigen Germanenbluts musste nach Ansicht unserer Vorväter eingeschritten werden; und tatsächlich steigerte die schnelle Entrechtung der „Ostjuden“ die Popularität der Regierung Hitler ungemein. Um die „Vernegerung“ der Deutschen zu stoppen, sterilisierte man von 1937 an die „Rheinlandbastarde“ - rund 500 Jungen und Mädchen, deren afrikanische Väter 1923/24 als französische Besatzungssoldaten ins Rheinland gekommen waren und „rassevergessene“ deutsche Frauen geliebt hatten.
Stoiber warnte einst vor der „durchrassten“ Gesellschaft
Noch während der Asyldebatten der 1990er-Jahre wählte die Akademie für deutsche Sprache den Kampf- und Angstbegriff Überfremdung zum Unwort des Jahres. Bayerns Ministerpräsident Stoiber malte das Gespenst eines „durchrassten“ Deutschland an die Wand. Kanzler Kohl weigerte sich, an den Trauerfeiern für die Mordopfer teilzunehmen, die 1992/93 in Mölln und Solingen bei fremdenfeindlichen Anschlägen erstickt und verbrannt waren, und sprach verächtlich von „Beileidstourismus“.
In vorderster Front posierte der linke, im Zweifelsfall national-sozial agitierende damalige SPD-Mann Oskar Lafontaine. Er wetterte gegen „Scheinasylanten“, forderte „Auffanglager in Nordafrika“, um später, 2005 in Chemnitz, zu verkünden: Der Staat „ist verpflichtet zu verhindern, dass Familienväter und -frauen arbeitslos werden, weil Fremdarbeiter zu niedrigen Löhnen ihnen die Arbeitsplätze wegnehmen“. Pegida, Marine le Pen und AfD lassen Oskar brüderlich grüßen. Noch 2008 führte Hessens Ministerpräsident Roland Koch einen gehässigen ausländerfeindlichen Wahlkampf, um die CDU an der Macht zu halten; in Bayern versuchte die CSU bis vor kurzem Ähnliches („Wer betrügt, der fliegt!“).
Vernünftiges Handeln ohne böse Worte
Angesichts der akuten Flüchtlingsprobleme könnte man denken, dass der altdeutsche Rassengeist wieder aus den nebligen nationalen Niederungen aufsteigt und von manchen Politikern verständnisinnig willkommen geheißen würde. Nichts davon geschieht. Bürgermeister, Landräte, Innenminister, Polizisten, Krankenschwestern, Ministerpräsidenten, ehrenamtliche und professionelle Helfer strengen sich an, um Tausende von unerwarteten Asylsuchenden irgendwie unterzubringen. Sie stellen sich ihren zusätzlichen Aufgaben ohne böse Worte. Anders als beispielsweise ihre weit weniger strapazierten tschechischen Kollegen schielen sie nicht auf nationalistische Ressentiments, handeln vernünftig, passen die Gesetze an, korrigieren Fehler und finden dafür gesellschaftlichen Rückhalt. Der historische Rückblick zeigt: Die Deutschen sind freundlicher und verständiger geworden. Weiter so!