Nach der Absage des Fußball-Länderspiels wegen akuter Terrorgefahr berichtet unser Kolumnist Jörg Thadeusz, was er mal gerne absagen würde.

Berlin - Partys sollen abgesagt werden. Mir ist bewusst, wie schrecklich das klingt. Mit anderen zusammen das Leben als Fest begreifen: Was könnte es Schöneres geben? Noch dazu „in Zeiten wie diesen“. Diese Formulierung setzt sich momentan fußpilzartig im öffentlich Gesprochenen fest. Ob wohl meine Großmutter von „Zeiten wie diesen“ gesprochen hat, als sie in einer Trümmerhaushälfte in einem für sie fremden Teil Deutschlands wohnte? Oder vergeht einem womöglich das apokalyptische Raunen, sobald man eine Jahrhundertpatsche nicht nur aus dem Nachrichtenfernsehen kennt?

 

Früher hätte ich nicht so locker die Absage von Partys fordern können. Zum Beispiel als die Handball-Jungs mit den Jazztanz-Mädchen unserer Jahrgangsstufe am Samstagabend bei irgendeinem Beteiligten zusammentrafen. Was die dann dort gemacht haben, kann ich nicht wissen. Denn ich war nicht eingeladen. In unserer Gruppe von Uneingeladenen bestand ich darauf, dass wir uns amerikanische College-Filme ansehen. Damit wir wenigstens ahnen, was bei Petra R. gerade im Wohnzimmer der verreisten Eltern läuft.

Insgeheim fürchteten wir uns vor Alkohol

Die anderen in unserer Schicksalsgemeinschaft wollten lieber damit fortfahren, was sie zu Außenseitern machte. Beispielsweise Fernschach spielen. In den damaligen Zeiten der Postkarte schrieb man einem Gegner in Übersee Schachzüge auf und wartete dann mehrere Wochen auf seine Erwiderung. Ein anderer redete permanent über die Dicke von Lautsprecherkabeln und wie irre hörbar der Unterschied ist. Und inwiefern sein Wirtschaftsjuristen-Onkel in jeder Beziehung die dicksten Kabel hat.

Vor Alkohol fürchteten wir uns insgeheim. Zu recht, wie sich herausstellte, als wir drei junge Frauen aus einem Akkordeonorchester mit einer selbst angerührten Bowle überschwänglich stimmen wollten. Die Musikerinnen blieben bei Cola. Unser Fernschachspieler, der wir Krütze nannten, bediente sich dagegen ausgiebig. Immerhin hielten wir freundschaftlich eine Art Koma-Wache.

„Ich habe wieder mit dem Akkordeon spielen angefangen“, könnte eine Frau sagen, der ich heute bei einer Party begegne. „Echt, Akkordeon?“, würde ich freundlich fragen. Mir dabei nur denken, was für ein fürchterliches Instrument dieses Ding doch geblieben ist. In solchen Zusammenhängen sprach ich auch schon darüber, dass Koreanisch doch bestimmt eine interessante Sprache ist.

Engtanz erfüllte einen taktischen Zweck

Engtanz ist kein romantisch klingendes Wort. Aber der erfüllte einen taktischen Zweck, als die meisten männlichen Partygäste noch ihre echten Haare hatten. Dagmar, Andrea, Kerstin, alles nicht ernst gemeint. Nur Engtanz eben. Damals. Selbstverständlich streichelt heute jede Kerstin nur zwischen Schulterblättern, zu denen sie mindestens standesamtlich „Ja“ gesagt hat.

Auf Parties, bei denen ein Caterer das Essen bringt, flirten nur diejenigen, die ansonsten dafür gelobt werden, wie gut sie „mit der Situation klarkommen“. Wäre doch schön, wenn die Clara wieder jemanden hätte. Sagen vor allem die Frauen auf der Party. Die meist viel toller und jünger aussehen als ihre Männer. Aber trotzdem ganz froh sind, wenn die Clara sich nur mit dem Stretchhosen-Peter amüsiert. Von dem jeder weiß, dass sich bei ihm immer Speichelreste ungut in den Mundwinkeln sammeln. Ich lege mich fest: Erwachsene Partys sollten abgesagt werden. Wir müssen frenetischer feiern. In Zeiten wie diesen.