Lügen und Egomanie werden im Berufsleben generell reich belohnt, meint unser Kolumnist Jörg Thadeusz.

Stuttgart - Mich haben Berufe mit zweifelhafter Reputation schon immer angezogen. So war ich als Jugendlicher von dem Karussell-Mitarbeiter auf unserer „Pflaumenkirmes“ beeindruckt, der auf dem Trittbrett der „Amazonas-Bahn“ mitfuhr und sich nur mit einer Hand festhielt, während wir Weicheier uns bei dem hohen Tempo kläglich in die Polster krallten. In meiner Zeit als Gläser-Einsammler in einer schäbigen Dortmunder Discothek sympathisierte ich mit den Rausschmeißern. Die beruflichen Glanzstücke einer Türsteher-Karriere finden außerhalb der Nachtwelt kaum Anerkennung. So war unser dauerhafter Mitarbeiter des Monats im Geheimen der Kollege, der einem aufsässigen Gast das Ohr abgerissen hatte.

 

Heute ist mir klar: Wer es zu etwas bringen will, muss mental ein Ohrabreißer bleiben. Wenn ich dem Beispiel des Joseph Blatter als Fifa-Präsident folgen wollte, dürfte ich das Abscheuliche nicht scheuen. Aber die Lügen und die Egomanie werden generell reich belohnt. Der Mann, der dem FBI wohl als Kronzeuge dient, heißt Chuck Blazer und war von 1996 bis 2013 Mitglied des Fifa-Exekutivkommittees. Diese Position ermöglichte ihm ein Leben, für das ein Deutsch-Rapper wie Bushido ganz viele Minderheiten beleidigen muss. Nach einem Bericht der BBC hatte Chuck im Trump-Tower in Manhattan ein eigenes Apartment nur für seine Katzen. Als würdiger Nachfolger von Sepp Blatter müsste ich mir auch dessen sehr persönlichen „Glitsch“ aneignen.

Die Wortlosigkeit des Herrn de Maizière

Falsche Gefühle und vorgetäuschte Empathie muss ich jederzeit abrufen können. Probieren wir es gleich mit ordentlicher Heuchelei nach Blatter-Vorbild. Tut mir echt leid, liebe Antiamerikaner. Jetzt habt Ihr diese sehr alte Demokratie monatelang als totalen Überwachungsstaat hingestellt. Da wird schlagartig klar, dass das FBI doch noch auf einen traditionell verdrahteten V-Mann zurückgreifen muss. Wenn es so ist, wie Ihr es übertreibt: Warum haben die sich nicht einfach die NSA-Unterlagen kommen lassen? Oder Sie, lieber Herr de Maizière: Sie haben mein dickes Mitgefühl für Ihre Wortlosigkeit. Zu Herrn Blatter würde ihnen gar nichts mehr einfallen, haben Sie mit Journalisten gewitzelt. Deutsche Ermittlungen gegen die Fifa sind Ihnen leider auch nicht eingefallen.

Wahrscheinlich finden Sie Bestechung und Bestechlichkeit nicht so schlimm wie Ihre Justizminister-Kollegin in den USA. In Deutschland sind 6,8 Millionen Menschen Mitglied im Deutschen Fußballbund. Hätten Sie da nicht eine klitzekleine Verantwortung spüren können, als Sportminister dieses Landes? Wollen Sie nicht vielleicht wenigstens dem Franz Beckenbauer mal einen Brief schreiben? Der bestreitet, dass die WM-Vorbereitungen in Katar von Arbeitern unter sklavenartigen Bedingungen geschehen. Mit der Begründung er habe bei einem Besuch dort niemanden „in Ketten“ gesehen. Bis jetzt sollen dort schon 200 Arbeiter ums Leben gekommen sein.

Die Karrieren von Blatter und Beckenbauer durften wir alle mitverfolgen. Der eine wurde der Prototyp des charakterlosen Sportfunktionärs und der andere ein selbstberauschter Fernsehquatschkopf. Was ist wohl aus dem Mann von der Amazonas-Bahn geworden? Wahrscheinlich was ganz anderes als die Vorgenannten. Womöglich sogar ein anständiger Mensch.