Die Griechen haben es bewiesen: Mehr als eine Woche Vorlaufzeit braucht es nicht für ein ordentliches Referendum. Unser Kolumnist Jörg Thadeusz hat Vorschläge für weitere.

Berlin - Wenn in 200 Jahren Jugendliche auf einer Klassenfahrt im Überschall-Reisebus in Deutschland landen und mit Hilfe einer Archäologie-App meine Knochen ausgraben, was sollen die dann von mir denken? Sie sollen in ihren digitalen Kladden mit heute noch unmöglichen Wischbewegungen vermerken, sie hätten die Überreste eines modernen Menschen des frühen 21. Jahrhunderts gefunden. Um dem gerecht zu werden, taste ich dort, wo ich den Puls der Zeit vermute.

 

Wahrscheinlich fühle ich aber vorbei. Ich gehöre sozialen Netzwerken an, seit mir vermittelt wurde, der moderne Mensch habe dort Freunde. Allerdings bin ich vor allem von Pulstastern umgeben. Die nutzen ihre Facebook-Präsenz, um entweder mit dem Kapitalismus abzurechnen oder ihre Sommergetränke zu fotografieren. Frauen veröffentlichen gern Fotos, auf denen ihre akkurat lackierten Fußnägel vor einer idyllischen Landschaft schimmern, ehe sie mit dem nächsten Post einen Tieresser oder einen anzüglichen alten Mann auf einen Scheiterhaufen schreiben. Manchmal ist es so gesellig wie früher im Bus zur Schule, wo eher mäßige Scherze auch vom allgemeinen Übermut getragen wurden und alle woanders sein wollten.

Vor mir liegen noch einige Aufgaben, wenn ich mich wirklich modernisieren will. So scheue ich bis jetzt noch davor zurück, vegan zu leben. Was auch an einem veganen Weihnachtskuchen lag, der aussah, als könne man daraus nach einer Reaktorkatastrophe eine Schutzhülle modellieren. Mit einem Carsharing-Fahrzeug richtig aggressiv Auto fahren, das gehört auch auf die Liste. Direkte Demokratie ist ebenfalls sehr modern. Man müsse einfach mal die Menschen fragen, habe ich schon sehr oft gehört. Was  unterstellt, die von uns in die Parlamente entsandten Personen wären im unguten Sinn nebenmenschlich.

Mehr Abstimmungen

Der bessere Demokrat ist eben nicht der, der sich in einem Stadtrat für eine mickrige Aufwandsentschädigung in den Bürokratiedämmer versetzen lässt, sondern der Volksbefragte, der sich an einem Sonntag nach dem Frühschoppen zu einem Kreuzchen ermannt. Es soll bitte über die Sommerzeit abgestimmt werden, denn die nervt irgendwie. Was als Motiv für ein Plebiszit vielen meistens reicht. Wir sollten die Zeitzonen insgesamt überdenken und zur Abstimmung stellen. Schließlich habe ich jüngst zweimal vor drei Uhr keinen Schlaf gefunden, weil die Halbfinal-Spiele der Frauen-WM weit nach Mitternacht angepfiffen wurden. Für den Zeitunterschied mag es physikalische Notwendigkeiten geben, aber man muss ja nicht alles komplizierter machen, als wir es fühlen.

Referenden können viel spontaner sein, als der wuchtige Name glauben macht. Mehr als eine Woche braucht es kaum, wie das griechische Beispiel beweist. Wir könnten also am kommenden Sonntag abstimmen, wer dafür ist, dass jeder Journalist gesteinigt wird, der einen  Hitzeratschläge-Artikel schreibt. Schließlich könnte es doch sein, dass wir nicht nur permanent abstimmbereit sind, sondern zurechnungsfähig genug, um bei warmem Sommerwetter die Handschuhe wegzulassen. Richtig modern ist mir dieses Plädoyer leider nicht geraten. Ich werde testamentarisch verfügen, dass meine Gebeine in eine Yogamatte eingedreht werden. Vielleicht lassen sich die Schüler täuschen und merken nicht, dass sie einen Immergestrigen ausgegraben haben.

Vorschau
Am nächsten Dienstag, dem 14. Juli, schreibtan dieser Stelle unsere Kolumnistin Katja Bauer.