Wer das Betteln verbietet, sollte nicht glauben, dass damit auch die Armut verschwindet, meint unsere Kolumnisten Katja Bauer. Wer nicht geben will, braucht dafür keine neuen Vorschriften.

Berlin - Neulich hab ich mal gezählt: An einem normalen Werktag baten mich acht Menschen direkt um Geld. Drei verkauften in der U-Bahn eine Obdachlosenzeitung oder wollten eine Spende. Ein junger, völlig verdreckter Mann stolperte bettelnd in mich rein und sagte: „Scheißtag.“ Drei Frauen wollten, dass ich irgendwas unterschreibe, aber eigentlich Geld. Ein Mädchen wollte den Euro aus meinem Einkaufswagen. Den ersten beiden in der Bahn hab ich was gegeben, beim Dritten war Pause, dem mit dem schlechten Tag gab ich was, den drei Frauen nicht, weil ich glaube, dass sie das Geld abgeben müssen. Das Mädchen ging leer aus, weil ich einen Einkaufschip hatte und keine Lust, noch mal nach Geld zu kramen.

 

Meine Kriterien waren also Kleingeld, Misstrauen und Sympathie. Man könnte auch sagen Willkür. Wie machen es die anderen? Ein Kollege ist mal einem Bettler hinterhergerannt, weil der ihn um Geld für Essen gebeten hatte, damit aber in der Spielhalle verschwand. Eine Freundin erzählt, dass sie nichts mehr an die seit einiger Zeit zahlreich auftretenden Leute mit Krücken gibt, seit sie in einer Seitenstraße gesehen hat, wie recht gesunde Männer aus einem Kleinbus stiegen, die Gehhilfen unter sich verteilten und sich dann sozusagen an die Arbeit machten.

Moralische gesehen müssen wir helfen

Gibt es ein Richtig und ein Falsch? Zwei Argumente hört man häufig: erstens sei der Sozialstaat so verfasst, dass Menschen in Notlagen versorgt würden. Zweitens ermutigten Spenden beispielsweise Obdachlose dazu, in ihrer Lage zu verharren. Beide Argumente kann man anzweifeln: ersteres schon allein deswegen, weil es die Menschen ja gibt – es steht ihnen zwar Hilfe zu, sie werden aber davon nicht erreicht und betteln. Bei letzterem gilt: einem Bedürftigen nichts zu geben befreit ihn auch nicht aus seiner Lage. Ein drittes Argument lautet, Betteln sei würdelos. Wer das behauptet, spricht dem Bettelnden die Fähigkeit ab, über sein Tun entschieden zu haben.

Moralisch gesehen ist es eine Pflicht, anderen zu helfen, denen es schlechter geht. Früher war Mildtätigkeit ein anerkannter Weg, Buße zu tun – Bettler erfüllten damit in der religiös geprägten Gesellschaft eine Aufgabe.

Das bisherige Strafrecht reicht aus

Die politische Diskussion läuft zurzeit in eine andere Richtung: Die Zahl der Kommunen, die „aggressives Betteln“ verbieten, wächst. In Berlin liegt gerade ein Gesetz vor, das Betteln mit Kindern verbieten soll. Die Zahl der Bettler habe mit der Armutseinwanderung aus Osteuropa massiv zugenommen, so argumentieren die Gemeinden, es werde bandenmäßig gebettelt. Das Verbot richte sich also nicht gegen Bedürftige, sondern gegen Kriminelle.

Braucht man ein eigenes Verbot, reicht nicht das Strafrecht aus, wenn betrügerisch vorgegangen oder die Schul- oder Fürsorgepflicht verletzt wird? Und kann man als Gesellschaft ein Gesetz wollen, welches es einem Menschen verbietet, einen anderen um Hilfe zu bitten? 1974 hob das Verfassungsgericht das Bettelverbot auf, weil man Menschen, die ihr Elend zeigen, nicht kriminalisieren darf.

Es ist ja richtig, dass es viel mehr Bettler gibt als vor wenigen Jahren, dass Bandenstrukturen existieren und dass man sich manchmal bedrängt fühlt. Aber ein Verbot wird eins nicht bewirken: dass das Elend verschwindet. Es bleibt, die Menschen bleiben. Wir setzen uns damit nur ihnen gegenüber ins Recht. Fair wäre es, die Frage nach Geld auszuhalten. Man kann Nein sagen.