Der Ton in der Debatte verroht. Aus Kritik wird immer öfter Feindseligkeit und Verachtung gegen das System. Ein besseres haben wir allerdings nicht, meint unsere Kolumnistin Katja Bauer.
Berlin - „Erschießt die Fotze!“ Das schreibt ein Mann ins Internet, als öffentlichen Kommentar zum Text einer Kollegin, verziert mit dem Foto eines Killers. In Kittlitz im Spreewald tritt der Ortsvorsteher zurück, er hält die Drohungen gegen seine Familie nicht mehr aus. Er leidet wie seine Kollegen in Bautzen, Tröglitz, Schneeberg. Montag für Montag skandieren an verschiedenen Orten der Republik Tausende: „Lügenpresse“ oder „Volksverräter“ – letzterer Begriff entspringt der Nazi-Gesetzgebung. Ein führender SPD-Mann in Berlin erzählt von den täglichen Hassbriefen. Er sagt: „In meiner Position muss man das wohl aushalten.“ Muss man?
Die Antwort wird in den Rathäusern kleiner Gemeinden gegeben: es findet sich manchmal niemand, der das politische Ehrenamt ausüben möchte. Denn mit Ehre kann schon lang keiner mehr für diese Arbeit rechnen, nicht einmal mit einer Art staatsbürgerlicher Achtung vor demjenigen, der was fürs Gemeinwesen tut, in dem alle leben. Kritik, auch heftige, berechtigte hat es glücklicherweise immer gegeben an der Politik, teilweise in großen Protestbewegungen.
Die Repräsentanten der Demokratie im Visier
In den vergangenen Monaten ist aber etwas ins Rutschen gekommen. Der Ton verroht, Politikern, Journalisten, Beamten, Pfarrern schlagen in ungekannter Weise Feindseligkeit und Verachtung entgegen – nicht individualisiert, sondern in ihrer Eigenschaft als Repräsentanten der Demokratie. Es ist ein halbes Jahrzehnt her, dass sich der Begriff des Wutbürgers etabliert hat. Es liegt etwas leicht Diskreditierendes in dem Wort, als gehe es dem Bürger, der hier gegen etwas ist, gar nicht nur um die Sache, sondern als instrumentalisiere er diese für eine allgemeinere Empörung. Der Duden hat die Vokabel aufgenommen und definiert den „aus Enttäuschung über bestimmte politische Entscheidungen sehr heftig öffentlich protestierende[n] und demonstrierende[n] Bürger“.
In dem Begriff drückt sich tatsächlich etwas Weiteres aus, nämlich die Gefahr eines beginnenden Abschieds, einer Abwendung. Aus Kritik ist ein Grundmisstrauen geworden, das sich gegen das richtet, was montags bei Pegida als „System“ bezeichnet wird: die Demokratie. Sie wird als Schuldige benutzt, dabei kommt einfach einer wachsenden Gruppe das Verständnis dafür abhanden, dass sich in einer pluralen Gesellschaft manche Probleme nicht einfach oder auch gar nicht lösen lassen. Die Eurokrise, die Rentenfrage, die Flüchtlingskatastrophe, das Betreuungsgeld, TTIP, abweichende Meinungen – was kompliziert ist oder unbefriedigend, was einen herausfordert, verunsichert, ängstigt, was die eigene, sicher geglaubte Welt verändern oder den Lebensentwurf in Frage stellen könnte, soll weg.
Ordnung soll herrschen, Ruhe und vor allem Eindeutigkeit, das muss doch möglich sein im Zeitalter der Machbarkeit. So wie man eine faltige Stirn mit Botox optimieren kann, so wird zunehmend auch das Gemeinwesen danach bewertet, als funktioniere es nach den Prinzipien des Marktes, als sei der Bürger ein Konsument und die Politik ein Anbieter, der zu liefern hat, was bestellt wurde. Demokratie als Pizzaservice – wenn der Belag nicht stimmt, ist man nicht bereit, auch nur ein einziges Mal runterzuschlucken, sondern droht mit einem Wechsel des Lokals. Ein folgenschweres Missverständnis. Denn wenn das Lokal pleitegeht, wird es schwierig werden, ein besseres zu finden.