Immer wieder Sachsen: Was sich dort ereignet, ist die Folge einer gescheiterten Politik. Sie hat bis heute keine Idee entwickelt, wie sie dem erodierten Vertrauen in die Parteiendemokratie anders begegnen will als mit einer Strategie der Umarmung.

Berlin - Ganz Deutschland kennt seit vergangener Woche einen Herrn aus Dresden mit Deutschlandhut, und dieser Herr hat scharfe Kritik an der Bundesregierung sowie ein falsches Verständnis von Pressefreiheit. Er hat an einer Pegida-Demonstration teilgenommen, bei der regelmäßig menschenverachtende Positionen vertreten werden. Er arbeitet als Angestellter, nicht als Beamter, bei der Polizei. Er hat ein Kamerateam angepöbelt.

 

So weit, so legal. Man kann dieses Verhalten kritisieren. Aber diesen Herrn an den öffentlichen Pranger zu stellen, ist nicht nur unverhältnismäßig: Es weist vor allem nicht in die richtige Richtung. Nicht zufällig eskaliert die Lage in Sachsen und hat seit Sonntag in Chemnitz eine weitere Steigerung erreicht. Seit vier Jahren marschiert in Dresden Pegida – und genau so lange übt sich die Politik und mit ihr die Polizei in einer Art freundlich teilnehmender Beobachtung der fortschreitenden Radikalisierung nach rechts.

Die Polizei schaut einfach zu

Es ist schon lange her, dass Galgen für die Kanzlerin durch die Straßen getragen wurden, ohne dass Polizisten einen Aufruf zur Gewalt sahen. Journalisten werden sowieso regelmäßig behindert, beleidigt, bedroht. Alltag in Sachsen heißt: In Jahnsdorf fliegen Steine und Böller auf einen Bus mit Flüchtlingen. Als in Clausnitz dasselbe passiert, zerren Polizisten unter dem Johlen der Menge weinende Kinder im Klammergriff aus dem Bus. In Heidenau liefern sich Rechte vor einer Flüchtlingsunterkunft eine Straßenschlacht mit der Polizei. Die Feiern zum 3. Oktober ersaufen im Hass der Menschen, die vor der Frauenkirche einem Teilnehmer mit dunkler Hautfarbe Affenlaute entgegenbrüllen. Die Polizei schaut zu, auch als gegen Auflagen verstoßen wird, greift keiner ein. An dem Plakat eines Mannes, der ein Goebbels-Zitat durch die Straßen trägt, stellt ein Polizist fest, dass die vorgeschriebene Stocklänge eingehalten wurde. Auch hier sagt kein Verantwortlicher: Moment, mit dem besorgten Bürger, dessen Ängste wir ernst nehmen wollten, haben wir nicht diesen blanken Hass gemeint.

Und inzwischen? Inzwischen wird bei Pegida im Chor „Absaufen, Absaufen!“ skandiert, wenn es um Flüchtlingsboote auf dem Mittelmeer geht. Inzwischen sitzen sächsische AfD-Politiker wie der beamtete Richter Jens Maier im Bundestag, die auf ihrem Twitter-Account Wörter wie „Halbneger“ benutzen.

Es geht um die Durchsetzung einer völkischen Ideologie

Kleiner Blick über den sächsischen Tellerrand: Inzwischen erklärt der für die Verfassung zuständige Bundesinnenminister, der Islam gehöre nicht zu Deutschland, und sein Amtsvorgänger nennt dies eine Mehrheitsmeinung des „Volkes“. Inzwischen wird in Talkshows über Asyltourismus geredet und die Rettung Ertrinkender zur Disposition gestellt. Inzwischen machen Menschen Jagd auf ausländisch aussehende Passanten und auf Polizisten. Der AfD-Abgeordnete Hansjörg Müller schreibt dazu von seinem Stolz „auf unsere Mitteldeutschen“ und sein Kollege Markus Frohnmaier nennt es eine „Bürgerpflicht“, die „Messermigration“ zu stoppen.

Was sich in Sachsen ereignet, ist Folge einer gescheiterten Politik, die bis heute keine Idee entwickelt hat, wie sie dem erodierten Vertrauen in die Parteiendemokratie anders begegnen will als mit einer Strategie der Umarmung. So schafft man einen Nährboden für ein Gegenüber, dem es nicht um Dialog geht, sondern um die Durchsetzung völkischer, fremdenfeindlicher Ideologie. In Sachsen kann man nur früher und in brutalerer Ausprägung als im Rest der Republik eine fortschreitende Entwicklung beobachten.

Vorschau
Am 4. September schreibt an dieser Stelle unsere Kolumnistin Sibylle Krause-Burger.