Kritiker empfinden die Stolpersteine zum Gedenken an die NS-Opfer als eine Demütigung. Andere wiederum halten diese besondere Erinnungskultur für wichtig. Der Streit hat einen positiven Effekt, meint unsere Kolumnistin Katja Bauer.

Berlin - Vergangenheitsbewältigung, das ist so ein Wort, bei dem sich einem der Verstand verknoten kann, wenn man darüber nachdenkt. Etwas zu bewältigen, das heißt, es zu überwinden, zu erledigen. Es ist kein Zufall, dass wir Deutschen dieses Wort in unseren Sprachschatz aufnahmen, als es um den Umgang mit den Menschheitsverbrechen des Nationalsozialismus ging. Das Fühlen bahnt sich seinen Weg über die Sprache manchmal auch, wenn das Denken das nicht möchte: die Sehnsucht danach, einen Abschluss zu finden, steckt in der Vokabel Bewältigung. Die Schoah aber kann man nicht bewältigen.

 

Seit gut 25 Jahren verlegt der Aktionskünstler Gunter Demnig viereckige Messingplatten in Gehwege – ein Mensch, ein Stolperstein, mit Namen, Geburtsdatum, und dem, was man weiß über die Deportation, den Mord, das Schicksal dieses Menschen. Von Anfang an gab es heftige Kritik, auch jetzt mit der Nummer 70 000, die in diesen Tagen verlegt worden ist, flammt die Diskussion wieder auf.

Bei diesem Thema kann niemand für alle sprechen

Ein Gedenken am Boden, das ist für Kritikerinnen wie die frühere Zentralratspräsidentin Charlotte Knobloch eine unerträgliche Wiederholung der Erniedrigungen durch die Nazis. Juden, die auf Knien mit Zahnbürsten die Straße reinigen mussten, gehörten zum System der Entmenschung. Die Steine werden unter Umständen mit Füßen getreten, beschmutzt, die Toten eingemauert, zum Schweigen gebracht. Über die Empfindung der Kritiker lässt sich nicht streiten. Generalisierbar allerdings ist sie nicht. Was ist mit den Nachkommen der jüdischen Ermordeten, die sich in München so sehr einen Stein gewünscht haben, dass sie dafür vor Gericht gezogen sind? Niemand kann hier für alle sprechen.

Das trifft auch auf den Vorwurf zu, die Steine hätten nur eine wohlfeile gesellschaftliche Entlastungsfunktion – als Orte, zu denen man zum 9. November einen Rundgang organisiert, an dem sich Politiker zu Gedenktagen mit Putzlappen fotografieren lassen. In der Tat fehlt es diesen Bildern an Glaubwürdigkeit in einer Welt, in der es ein antisemitisches Massaker in einer US-Synagoge gibt, in einem Alltag, in dem Juden sich bedroht fühlen, in dem jüdische Schüler – selbst durch Lehrer – Antisemitismus erfahren und in dem das die Gesamtgesellschaft ziemlich kaltlässt.

Die Steine stören – und das ist gut so

Mit Steinen für Tote täten sich die Deutschen offenbar leichter als mit der Unterstützung der Überlebenden, sagen manche Kritiker. Auch eine interessante Frage wirft das Projekt auf: Wie kommt es eigentlich, dass es letztlich der Initiative einer Einzelperson überlassen bleibt, zu entscheiden, wessen auf öffentlichem Straßenland gedacht wird – und wie gesichert sind die dokumentierten Fakten? Mitunter hat diese Debatte auch eine Schlagseite, weil sie so geführt wird, als seien die Stolpersteine das einzige oder wichtigste Gedenk- oder Forschungsunterfangen. Das sind sie aber nicht.

Vielleicht ist dieser Streit, der nicht aufhören will, das Beste an der ganzen Idee überhaupt. Die Steine lassen sich eben am Ende doch nicht einmauern und brav blank wienern. Sie stören. Und die Wut mancher Kritiker verliert ihre Kraft, wenn sie – im ganz normalen Berliner Alltag – eine sich oft ereignende Szene sehen: Immer wieder bleiben Kinder vor den Steinen stehen. Sie entdecken die Vierecke, können vielleicht schon lesen, und dann fangen sie an, Fragen zu stellen. Dann stehen da kleine und große Stadtbewohner und versuchen, etwas zu erklären und etwas zu verstehen. Eine schwierige Aufgabe. Vor allem aber eine, die man sonst vermutlich verschieben würde oder vergessen. Weil es so lange her ist, weil es grad nicht passt, weil man nicht weiß wie, weil man ja alles so schön bewältigt hat. Mit den Steinen vor der Nase geht das nicht.